Ja, wie bereits im letzten Artikel angedeutet, wird dieser Laufbericht vom Berlin-Marathon 2011 eher eine Kurzgeschichte, denn bei Kilometer 24 war die Luft raus und ich musste zum ersten Mal in meinem Läuferleben einen Lauf vorzeitig abbrechen. Aber der Reihe nach…
Als um 9:10 Uhr der Startschuss für meinen Startblock (F!) ertönte, war ich eigentlich ganz guter Dinge. Ein wenig Sorgen hatte mir mein linker Oberschenkel gemacht, der mir in der Frühe beim Aufstehen zu verstehen gegeben hatte, dass die Garten- und Heimwerkerarbeit am Vortag vielleicht doch keine ganz so gute Idee gewesen war. Aber mit ein bisschen Marathon-Adrenalin würde sich das schon geben und so lief ich voller Vorfreude auf das Starttor zu.
Nach einer Woche Grübelei, wie ich denn die 42,195 Kilometer angehen sollte – auf der einen Seite stand meine wirklich gute Marathon-Vorbereitung und auf der anderen Seite der Zusammenbruch vor zwei Wochen beim Tegel-Halbmarathon, verbunden mit den Sorgen der Familie – hatte ich mich, auch angesichts der vorhergesagten Temperaturen, für einen „schnellen Sightseeing-Lauf“ entschieden. Statt also der 3:40 h bis 3:45 h, auf die meine Vorbereitung ausgelegt war, wollte ich „nur“ 4:00 h laufen.
Da ich erwiesenermaßen kein Wärmeläufer bin, hatte ich mir meine Degressive Renntaktik folgendermaßen zurechtgelegt: bis Kilometer 21 wollte ich im 5:30er-Schnitt laufen und dann auf der zweiten Hälfte mit steigenden Temperaturen das Lauftempo auf 5:40-5:50 min/km absenken. Das fand ich recht vernünftig und lief erst einmal wie ein Uhrwerk los. Wie immer gab es viel zu sehen, wie z.B. den Mann mit der Elefantenkopf-Mütze…
Bei Kilometer 6,5 lief das Feld über die Brücke der Sonne und dem Reichstag entgegen. Läufer-Silhouetten im Gegenlicht, schön!
Die Stimmung an der Strecke war wie immer großartig und auch unter den Läufern wurde das eine oder andere kurze Wort gewechselt, wie z.B. zwischen den beiden Jubilee-Läufern, die sich im Nebenherlaufen ansprachen: der eine hatte bereits 24 Berlin-Marathons auf dem Konto und der andere 25! Beim Friedrichstadtpalast bog dann der gesamte Pulk links ab in die Friedrichstraße.
Das Tempo war gut, aber ich spürte ganz leicht den Gartenarbeits-Oberschenkel, na, einfach ganz locker und entspannt weiterlaufen.
Eigentlich hatte ich ja den König der Marathon-Läufer an der Spitze des Feldes vermutet, aber plötzlich tauchte er – mit Krone, Schwert und rotem Umhang – direkt vor mir auf. Und kaum zu glauben: ich habe den Marathonkönig überholt ;-)
Weiter ging es jetzt in Richtung Strausberger Platz. Die ganze Zeit hielt sich ein Läufer im Dortmunder Dede-Trikot vor mir, an dem ich mich immer orientierte. Nach jedem Getränkestand verlor ich ihn kurz, fand ihn aber dann bald wieder.
Die Wasserspiele in der Mitte des Strausberger Platzes sahen wirklich erfrischend aus, das musste ich unbedingt fotografieren. Aber wie so oft wollte das Handy nicht, wie ich es wollte, und ich musste drei Versuche machen, bis das Bild im Kasten war. Gut, dass die Runde um den Platz nicht gerade kurz ist.
Kreuzberg war wie immer der Wahnsinn. So viele Menschen am Straßenrand, so tolle Musiker, die uns Läufern laut einheizten und immer wieder mal auch eine kräftige Beschallung aus den oberen Hausetagen. Ich erinnere mich, dass mir ein solcher „Motivationsbalkon“ mit AC/DC’s „Hells Bells“ wahre Adrenalinschauer über den Rücken jagte.
Nun ging es auf die Yorckstraße, auf Kilometer 20 zu. Hier wollten sowohl Doro als auch Andreas V. stehen. Inzwischen war mir doch so warm geworden, dass ich dachte „Wie schön, gleich nimmst du wie geplant etwas Tempo raus…“ Da winkte schon Andreas V. und rief mir ein lautes „Gut siehst du aus!“ hinterher, und wenige Meter später entdeckte mich dann auch meine begeistert winkende Frau (die mir wiederum später sagte, sie fand, dass ich schlechter als sonst an diesem Punkt ausgesehen hätte…).
Wie immer gab das wieder ein wenig Schwung für die nächsten Meter, auf denen gleich die Halbmarathonmarke kommen musste. Und jetzt passierte das Seltsame. Ich kann mich nämlich noch erinnern, dass ich sogar kurzzeitig mit dem Gedanken spielte, noch ein wenig weiter im 5:30er-Tempo zu laufen, bevor ich es zurücknehmen würde…
Aber dann wurden auf einmal auf den folgenden Kilometern meine Beine immer schwerer. Ich dachte noch, na gut, dann nimmst du eben jetzt kräftig raus. Aber je weiter ich lief, desto schlapper wurde ich! Stecker raus, wie sonst bei Kilometer 36. Gut, dann eben 6:00er-Schnitt…
Aber es wurde nicht besser. Bis zum Innsbrucker Platz (Kilometer 24) grübelte ich darüber nach, was das denn jetzt sein könnte. Hier musste doch irgendwo Andreas II. stehen? Das würde mir wieder Auftrieb geben. Aber ich entdeckte ihn nicht, lief vorbei an den tollen Trommlern unter der Brücke und fühlte mich immer miserabler. Ich beschloss, ein Stück zu gehen. Und wie ich da so einige Meter enttäuscht dahinging, während der Läufer-Strom an mir vorbeizog, kam mir die Erkenntnis: „Wenn du bei Kilometer 24 bereits so schlapp bist, dass du gehen möchtest, musst du jetzt aufhören. Wenn das bei Kilometer 36 passiert, dann schleppt man sich noch 6 Kilometer bis zum Ziel durch, aber du kannst dich jetzt nicht 18 Kilometer so durchschleppen, ohne einen Besuch bei den Johannitern zu riskieren. Du musst jetzt raus!“
Das hört sich so einfach und kurz an, hat aber bestimmt einige Minuten gedauert. Dann trat ich einfach zwischen den am Straßenrand stehenden Zuschauern hindurch und war draußen. Der Marathon war für mich vorbei. Ich ging in eine ruhige Seitenstraße, fernab vom Trubel, rief meine Frau an und machte mich auf den Rückweg.
Bevor ich in die S-Bahn zum Zielareal stieg, wollte ich aber noch Andreas II. finden, der ja hier irgendwo sein musste. Der Blick auf das vorbeirauschende Läuferfeld tat fast körperlich weh, wenn ich es auch als kleinen Trost empfand, dazwischen einige „Geher“ zu entdecken. Am Rand stand eine junge Läuferin, die ebenfalls ausgestiegen war. Ich sprach sie an und sie meinte, sie hätte Magenschmerzen, würde aber wohl gleich weiterlaufen. Ich wünschte ihr alles Gute und entdeckte dann Andreas II., der mir verwundert entgegenkam. Ich erklärte kurz die Lage, holte mir ein paar tröstende Worte ab (Danke, Andreas, für die Akut-Hilfe! ;-) und machte mich dann auf zur S-Bahn
Wie um meinen Frust zu vergrößern, führte mich der Weg auch noch unter der Brücke, hinter den Trommlern, zurück. Und die machten gerade mit rhythmischen Schlägen und einem lauten Schlachtruf eine mordsmäßige Stimmung. Ach, wie gerne wäre ich jetzt wieder eingestiegen, hätte mich in das Feld eingereiht und von den Trommeln vorwärts treiben lassen. Aber ich fühlte mich ganz einfach absolut schlapp und demoralisiert.
Auf dem S-Bahnhof war einsame Stille. Unten tobte der Marathon, hier oben war Leere. Ich wäre sicherlich auf dem Rückweg in völlige Trübsal versunken, hätte mich nicht auf dem Bahnsteig ein anderer Läufer nach dem Weg gefragt.
Per aus Dänemark war nämlich auch aus dem Marathon ausgestiegen. Als er bemerkte, dass sein Puls in ungesunde Höhen stieg, hatte er sich für sein Marathonende entschieden. So kam es, dass wir beide uns auf dem gesamten Rückweg auf Englisch über unser Läuferleben austauschten. Es war sein 19. Marathon, den 20. wollte er Ende November in Cannes laufen.
Per – der Name ist in seinem Jahrgang offensichtlich genauso verbreitet wie Andreas in meinem – und ich redeten über alles mögliche und erreichten schließlich das Zielareal, wo es bis auf ein paar superschnelle Läufer, die uns mit ihren Medaillen bereits entgegen kamen, noch ziemlich leer aussah.
Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander und gingen jeder seine Sachen abholen. Und so endete mein sechster Marathon…
Als ich soeben, zwei Tage nach dem Lauf, zum ersten Mal meine offiziellen Zwischenzeiten auf der Website des Berlin-Marathon sah, konnte ich es gar nicht glauben, wie gleichmäßig ich die erste Hälfte gelaufen bin (s.o.).
Andererseits wundert mich auch ein wenig der Unterschied zu meinen GPS-Zeiten, die nämlich für die ersten 20 Kilometer einen Schnitt von 5:26 min/km zeigen.
Ist aber eh alles egal. Es war ein Marathon mit toller Atmosphäre, flüssig gelaufenen 20 Kilometern und einem deprimierenden Ende. Aber dank der vielen netten Worte von Freunden und hier auf startblog-f sieht die Läufer-Welt schon wieder etwas hoffnungsvoller aus…
PS: Per, if you ever get to read this – thanks again for the nice chat which helped me a lot to get over my misery. Hope to see you again someday (maybe next year in Berlin)!
Andreas, du hast alles richtig gemacht. 18 Km zu gehen ist sinnfrei und demoralisiert dich noch viel mehr. Die erste Hälfte war unglaublich konstant, aber dann doch etwas zu schnell angesichts der Temperaturen? Kopf hoch, es kommen noch viele Marathons und denke einfach an deinen tollen Lauf bei den BIG25 zurück, als du uns abgehängt hast :). Gute Erholung für dich und vielleicht bis zum nächsten Berlin Marathon!
Hallo Henrik, ja, mein Lauffrühjahr stand eindeutig unter einem besseren Stern als der Laufherbst. Danke für die aufbauenden Worte!
Das tut mir leid für dich, Andreas. Mach dir da aber keinen großen Kopf drum. Du warst schon so gut drauf dieses Jahr. Das kann halt nicht an jedem Tag klappen.
LG Carsten
Hallo Carsten, so ähnlich sehe ich das auch. Es gibt halt solche und solche Tage…
Kopf hoch und jetzt aber keine Angstzustände wegen der Temperaturen aufbauen!
@Ralf
Na, die höheren Temperaturen sind schon meine Schwachstelle, aber ich hatte auch unter solchen Bedingungen in der Vergangenheit schon recht schnelle Wettkämpfe. Vorsicht ist auf jeden Fall angebracht, Angstzustände – da hast du völlig recht – aber nicht…