Ohne Zweifel sind die langen Läufe das wichtigste Element der Marathonvorbereitung. Kein Marathonplan kommt ohne den wöchentlichen langen Lauf aus. Umso erstaunlicher, dass es unter den Expert:innen durchaus gegensätzliche Meinungen gibt zur Frage: Wie lang sollte der längste Lauf in der Marathonvorbereitung sein? …
Die 3-Stunden-Grenze für den langen Lauf
Während es in den Fachbüchern meiner Anfangszeit (Herbert Steffny, Hubert Beck) für die „Normalos“ unter den Marathonläufer:innen durchaus Empfehlungen in Richtung 32 bis 35 Kilometer für den längsten langen Lauf gab, war „das größte Laufmagazin der Welt“ (Runner’s World) damals vorsichtiger. Für die meisten Marathonläufer:innen sollten da 30 bis 32 Kilometer reichen, mit Verweis auf die Verletzungsgefahr (für Profis und sehr ambitionierte Amateure galten und gelten solche Empfehlungen übrigens nicht).
Ich war aber erstaunt, in der aktuellen August-Ausgabe der „Runner’s World“ Marathon-Trainingspläne zu finden, die durchaus 34-km-Läufe für das Marathon-Ziel „einfach nur heil ankommen“ und 36-km-Läufe für ein Marathon-Zielzeit von 4 Stunden vorsehen. Kurios dabei nur, dass in einem Frage-Antwort-Kasten daneben zur Frage „Wie lang sollte der längste Lauf in der Marathonvorbereitung sein?“ eine Begrenzung von 3 Stunden zu lesen war.
Für alle gilt: Länger als drei Stunden sollte kein langer Lauf dauern, egal ob Ihr Marathonziel „Ankommen“ heißt und Sie schließlich 5:00 Stunden brauchen werden. Denn nach drei Stunden Laufzeit steigt das orthopädische Verletzungsrisiko überproportional an.“ (Runners World, Ausgabe 08/2024)
Da stimmt etwas nicht mit Zeit, Distanz und Lauftempo
Abgesehen davon, dass ich die Sache mit dem orthopädischen Verletzungsrisiko auf jeden Fall glaube, fällt doch ein Widerspruch zu den direkt daneben stehenden Marathon-Trainingsplänen auf: Wie soll jemand, der zum ersten Mal einen Marathon läuft, den Lauf über 34 km in maximal 3 Stunden absolvieren? Das wäre eine Pace von 5:18 min/km. Und für den 4-Stunden-Plan müsste man die 36 Kilometer in einem glatten 5er-Schnitt laufen. Das ist in beiden Fällen deutlich schneller als das Marathon-Renntempo – 5:00 vs. 5:40 min/km beim 4-Stunden-Plan – und widerspricht somit extrem allen Empfehlungen zum Tempo des langen Laufs.
Ist es egal, ob man 35 oder 25 Kilometer läuft?
Geht man die Empfehlung von der anderen Seite an und fragt sich „Wie weit komme ich denn in 3 Stunden?“, käme man z.B. beim 4-Stunden-Plan bei einem Tempo von ca. 6:30 min/km auf ca. 28 Kilometer. Das ist weit von 36 Kilometern entfernt.
Den zuletzt genannten Ansatz scheint die Laufapp Twaiv zu verfolgen, wie in dem Beitrag „Long Run – Bringt länger wirklich mehr?“ zu lesen ist. Hier wird nicht nur ebenfalls auf das erhöhte Verletzungsrisiko nach 3 Stunden verwiesen, es wird darüber hinaus behauptet, dass lange Läufe jenseits der 25 Kilometer für die Marathonvorbereitung nichts oder wenig bringen.
Es gibt keine Studie, die zeigt, dass besonders lange Läufe einen additiven Trainingseffekt haben. Aus sportwissenschaftlicher Sicht ist es höchst fraglich, ob ein 35km Lauf denn so viel mehr bringt als z.B. ein 25km Lauf.“ (Laufapp Twaiv)
Das widerspricht so ziemlich allem, was ich bisher über die Marathonvorbereitung gehört und gelesen habe. Selbstverständlich kann man einen Marathon auch finishen, wenn man nur 25-km-Läufe in der Vorbereitung gemacht hat. Aber ich kenne niemanden, der das dann als optimale Vorbereitung auf ein 42-km-Rennen betrachten würde.
Auch ein schnelles Lauftempo erhöht die Verletzungsgefahr
Wenn ich es richtig verstehe, versucht die App in ihren Plänen die erforderliche Trainingsbelastung durch ein höheres Lauftempo bei den langen Läufen zu erreichen. Hier würde ich einwenden, dass das orthopädische Verletzungsrisiko auch mit zunehmendem Tempo deutlich steigt. Da sehe ich vom Verletzungsaspekt her keinen Unterschied, ob 34 km langsam oder 25 km schnell gelaufen werden. Mal abgesehen davon, dass natürlich jeder individuell unterschiedlich verletzungsanfällig ist.
Wer nicht 30 km im 6er-Schnitt laufen kann, ist nicht reif für den Marathon?
Ein Satz, der mich bei Twaiv aber sehr gewundert hat, setzte die 3 Stunden maximaler Laufzeit in ein erstaunliches Verhältnis zur Distanz des langen Laufs:
Wenn man mit 2,5-3 Stunden laufen nicht auf eine Distanz von 30km plus kommt, dann ist das der erste Hinweis, dass das Ausdauersystem vielleicht noch nicht genügend austrainiert ist, um einen empfehlenswerten Marathon zu laufen.“ (Laufapp Twaiv)
Das ist mal eine Ansage! Der Satz besagt in Zahlen, dass ich nicht „Marathon-reif“ bin, wenn ich im Training nicht 30 Kilometer in einem 5er- bis 6er-Schnitt laufen kann. Ein 6er-Schnitt beim Marathon wäre eine Zielzeit von 4:12h. Wobei Twaiv sogar „nur“ vom Traningstempo, nicht vom (eigentlich höheren) Marathon-Renntempo spricht.
Nimmt man die Finisher-Zahlen des Berlin-Marathons von 2023, hätten nach dieser Theorie eigentlich die Hälfte der Finisher:innen gar nicht antreten sollen, weil sie dafür „nicht genügend austrainiert“ waren – die Zielzeit von glatten 4:12:00 belegten damals Läufer:innen auf den Plätzen 23.622 bis 23.627 von insgesamt 43.050 gelisteten Finisher:innen.
Mein Fazit
Meine Meinung zu all dem? Ich bin der Überzeugung, dass man für einen Marathon lange Läufe über 30 Kilometer machen muss, die man langsam läuft. Eine Empfehlung zum Langer-Lauf-Tempo lautet „Etwa eine Minute pro Kilometer langsamer als das Marathon-Renntempo.“ Wenn ihr etwas schneller dabei seid, auch kein Problem. Wenn ihr die langen Läufe (fast) im Renntempo macht, riskiert ihr ein Übertraining und das Training ist nicht so gut und effektiv, wie es sein könnte.
Ob der längste Lauf aber nun 30, 32, 34 oder gar 36 Kilometer lang ist, sollte jeder mit Blick auf die eigene Verletzungsanfälligkeit selber einschätzen. Denn das muss man mit Blick auf die Runner’s World schon sagen: Einerseits ist der Hinweis auf die erhöhte Verletzungsanfälligkeit jenseits der 3 Stunden absolut richtig, andererseits sind schon immer nahezu alle Marathon-Trainingspläne über diese Regel hinweggegangen!