Ich war ganz schön aufgeregt, als es auf zum Finale ging: Die letzte Etappe – aber eine sehr lange! Andererseits war ich überzeugt, dass ich es schaffen würde. So viele Kilometer lagen jetzt hinter mir, egal was unterwegs passieren würde, ich würde am Ende in Leipzig einlaufen. Andreas V. und ich hatten beide nur etwas Bedenken weil zwischenzeitlich 27 Grad vorhergesagt waren. Aber bei unserem – vorsichtshalber etwas nach vorne verlegten – Start war es bewölkt und nieselte sogar leicht. Also los…!
Nach dem vorverlegten Frühstück hatte Andreas V. wieder das Fahrrad fertig gemacht, so dass wir um 9:50 Uhr starten konnten. 19 Grad und Niesel sind ja nicht Läufers Traumwetter, aber angesichts dessen, was wir noch vorhatten, war das hochwillkommen.
Tschüss, Biber!
Eine Brücke führte uns über die Mulde…
… und am anderen Ufer führte uns der Weg an einem schönen Industriegebäude vorbei in die Natur.
Zwei Esel wunderten sich über das Läufer-Radfahrer-Gespann, das da an ihnen vorbeizog.
Ein weiterer Jakobsweg-Aufkleber, der dringend mal ausgetauscht werden müsste: So ausgeblichen und angerissen, dass ich ihn erst sah, als ich davor stand.
Der erste Ort, den wir durchquerten, war Glaucha. Hörte sich schon sehr sächsisch an (an Ortsnamen mit a-Endung sollte es im Laufe des Tages nicht mangeln).
Hier hatten wir anscheinend die Welt für uns.
Während ich ein mit blauen Kornblumen übersätes Feld fotografierte…
… versuchte Andreas V. sich zu orientieren. Schilder gab es keine, aber der Blick auf die Karte sagte, dass wir nach links mussten.
Über feste Waldwege…
… und noch festere Straßen…
… kamen wir an die nächste Abzweigung. Krippehna – genau da wollten wir hin!
Wir hatten in den letzten Tagen schon häufig Mohn an den Feldrändern gesehen, aber das toppte es wirklich.
Staunend standen wir am Straßenrand. Was im Foto gar nicht so gut zu sehen ist: Um ein riesiges Feld lag ein roter Mohnblumen-„Rahmen“ von mehreren Metern Breite!
Weiter ging es auf der Landstraße…
… bis nach Krippehna.
Auch hier wieder große Mohnblumen-Wiesen.
Bald nach der Kirche…
… machten wir eine kurze Rast an einem rustikalen Bushaltestellen-Häuschen.
Ha, nur um einen halben Kilometer später, am anderen Ende des Dorfes, an einem idyllisch eingerichteten Rastplatz vorbei zu kommen.
Wieder ging es auf die Landstraße. Es kamen zwar sehr selten Autos, aber die, die kamen, waren meist recht rücksichtslos unterwegs. Die meisten wichen auf der schmalen Straße für den entgegenkommenden Läufer kaum von ihrer Spur ab. Und das Tempo für einen Fußgänger zu reduzieren, kam anscheinend auch nicht in Frage.
Landstraße bis in die Unendlichkeit… ich lief und lief…
… bis wir ins nächste Örtchen kamen.
Gleich zu Anfang ging es an der Patronatskirche Kleinwölkau vorbei…
… bis wir zum Schloss Schönwölkau kamen…
… das auch schon bessere Tage gesehen hat. Soweit ich es recherchiert habe, ist die Lage ähnlich wie beim Schloss Kropstädt auf unserer Etappe 3: Investoren kaufen das Schloss, setzen die versprochenen Investitionen zur Nutzung und Erhaltung nicht um, die Gemeinde kann nichts tun, die Investoren verkaufen das Schloss nach Jahren an die nächsten Investoren, diese lassen das Gebäude weiterhin verfallen, etc. Ein Trauerspiel.
Die Patronatskirche wiederum ist eine Kirchenruine ohne Dach, was interessante Durchblicke gewährt.
Ich habe sie mir auf einem kurzen Rundgang angesehen und dabei auch diesen Steinquader mit floralem Relief bewundert, der einfach am Rand lag.
Noch ein Foto vom Eingangstor zum Gut Wölkau, das schon lange nicht mehr existiert…
… und dann weiter laufen.
Gleise, die im Nichts enden…
… und Kopfsteinpflaster, das den Radfahrer beansprucht.
Kurzzeitig verloren wir die Orientierung als wir an einer Straße herauskamen. Links oder rechts? Wo ist ein Jakobsweg-Schild? Aber dann fanden wir dank digitaler Karte wieder zurück in die Spur. Und wenn ich mich richtig erinnere, entdeckten wir in Niederossig auch das erste RB-Leipzig-Schild. Leipzig war noch fern, aber man konnte es schon ahnen.
Immer wieder diese Weite!
Und dann, nach dem Nichts, plötzlich ein Farb-Flash: Roter Mohn vor orangem Haus!
Die Gemeinde Krostitz ist manchen vielleicht bekannt…
… durch das hier gebraute Ur-Kostritzer Bier.
Weniger bekannt ist die „Kalte Ecke“, an der ich auf Andreas V. gewartet habe, der einen Abstecher zur Bäckerei machte, um meinen Salzhaushalt mit Brezeln auf Vordermann zu bringen.
Wahnsinn! Mit ein bisschen Stolz vertrieb ich mir die Wartezeit mit dem Betrachten der bisher zurückgelegten Gesamtstrecke. Nur noch ein winziges Stück…! (ähem, 23 km)
Die kleinen und großen Örtchen auf der Strecke waren übrigens auch eine große mentale Erholung, da es jedes Mal etwas zu entdecken gab, bevor es wieder in die endlose Weite der Landstraße ging.
Ich lief also und schaute und fotografierte.
Nahe der Kirche St. Laurentius (von 1206!) machten wir eine kurze Pause und aßen unsere Salzbrezeln.
Dann trieb mich mein Entdeckungsdrang auf das baumbestandene Grundstück der Kirche. Nach ein paar Fotos kehrte ich zu Andreas V. zurück…
… und gemeinsam nahmen wir die nächste Landstraße in Angriff. Eine in die Landschaft asphaltierte Startbahn…
… mit Landung in Mutschlena (na, wenn das nicht sächsisch klingt!).
Wie gesagt: Nächstes Dorf, Augen auf…
… Fotos machen…
… und weiter laufen. Gottscheina klang nicht nur sächsisch sondern auch religiös. Spannend, also hin da!
Uns kam eine Gruppe von Radfahrer:innen entgegen, die die Situation mit den Autos sehr entspannt nahmen.
Hey! Auf dem Ortsschild von Gottscheina stand zum ersten Mal „Stadt Leipzig“! Das wollte ich mit einem Team-Selfie dokumentieren, aber Andreas V. wiegelte ab: Nee, lieber erst wenn ein „richtiges“ Leipzig-Ortsschild käme. Ok, so machen wir das. Was wir nicht wussten: Es würde kein „richtiges“ Leipzig-Schild mehr kommen…
Hinter Gottscheina mussten wir uns erst wieder orientieren, da die Situation in Ermangelung von Jakobsweg-Aufklebern nicht so klar war. Glücklicherweise hatte das jemand erkannt und einen Hinweis auf einen rostigen Eisenträger gepinselt.
Ein paar Dutzend Meter weiter dann die offizielle Version. Nicht so verblichen wie das Verkehrsschild darüber, aber ebenso dicht zugewachsen.
Im Gegensatz zu unseren ersten, sehr sandigen Etappen konnte Andreas V. auf dieser Etappe eigentlich immer gut fahren. Wenn es nicht gerade Kopfsteinpflaster oder Schlaglochpisten gab.
Ab dem 10. Jahrhundert entwickelte sich Leipzig an der Kreuzung zweier Fernstraßen, der Via imperii und der Via regia, die hier die Alte Salzstraße aufnahm. Sagen zumindest diese Schild und Wikipedia. Habe ich überhaupt schon erwähnt, dass wir während der ganzen Tour auf der Via imperii unterwegs waren?
Wir waren jetzt in den Außenbezirken der Stadt Leipzig angekommen und kamen entfernt am BMW-Werk vorbei.
Es fühlte sich für mich schon an wie angekommen, aber ich wusste, dass es bestimmt noch 10-12 Kilometer bis auf den Leipziger Marktplatz waren. Also die nächste Kirche (St.-Martin-Kirche in Plaußig) gewürdigt und weiter gelaufen.
Am Rande eines Wäldchens kamen wir auf einem Parkweg…
… zur Kirche Portitz, an der es irgendwie nicht weiter zu gehen schien.
Aber nach Überprüfung des Handy-Tracks und anfänglicher Irritation („Meinst du wirklich, dass das hier richtig ist?“) fanden wir den Weg…
… der uns zur Autobahn-Unterführung (A14) führte.
Bisher hatte die Bewölkung sehr geholfen. Nicht, dass es kühl gewesen wäre ;-) Aber zumindest erträglich. Inzwischen kam aber bei immerhin 25 Grad immer öfter die Sonne heraus. Da hatte ich mir vor dem „Schluss-Spurt“ wirklich eine kühle Cola aus Andreas V.s „Bord-Bistro“ verdient!
In Ermangelung eines Jakobsweg-Schildes hatte man an der Plösener Straße ein rotes Verkehrsschild mit weißem Querbalken platziert, was wohl übersetzt „Jakobsweg-Pilger willkommen!“ heißen sollte. Oder so ähnlich. Nach kurzer Ratlosigkeit kamen wir zumindest zu diesem Schluss und liefen/fuhren dort weiter.
Über eine Fußgängerbrücke…
… gelangten wir zur Kirche Hohen Thekla, die auf einem Kirchberg liegt. Angesichts der Stufen fuhr Andreas V. lieber drum herum…
… während ich mir noch kurz die Stufen und den Anblick der vor über 800 Jahren entstandenen Kirche gönnte.
Mit Schwung…
… kamen wir jetzt zum „Bagger“ genannten See, bei dessen Anblick Andreas V. „Ich springe gleich rein!“ ankündigte.
Es blieb aber bei einer Ankündigung und einer halben Umrundung des Sees.
Mit Tunnelblick ging es weiter.
Sonst eigentlich nicht meine Art, aber für ein gutes Fotomotiv kurz vor dem Zieleinlauf kann man sich schon mal auf einen Sockel stellen.
Der Abtnaundorfer Park war schon schön…
… aber die Orientierung war dort schwierig: Es gab viele verschlungene Wege und der Track auf dem Handy zeigte häufig einfach querfeldein. Irgendwie fanden wir aber am richtigen Ende wieder heraus und trafen dort einen Mann, der gerade sein Rad reparierte. Unser Hilfsangebot lehnte er zwar ab, aber es entwickelte sich ein nettes Gespräch.
Wir hatten in den letzten Tagen ja nicht viele Menschen getroffen, aber die wenigen waren allesamt sehr freundlich gewesen.
Nach einem langen Anstieg zur Brandenburger Brücke…
… lief ich auf der anderen Seite ebenso lang wieder hinunter.
Nun war es wirklich nicht mehr weit, und unwillkürlich kam ich aus dem üblichen Schlappschritt heraus und lief wieder beschwingter.
Es begann ein Sightseeing-Finale! Wir kamen am Leipziger Haubtbahnhof vorbei, …
… sahen das Tympanon-Fries an der Oper…
… und natürlich auch die Leipziger Oper.
An der Skulptur „Die unzeitgemäßen Zeitgenossen“ ging es durch die Fußgängerzone – im wahrsten Sinne, denn nun war Laufen und Radfahren nicht mehr möglich.
Wir kamen auf den Nikolaikirchhof, der ja eine besondere Rolle bei der friedlichen Revolution 1989 gespielt hat, woran auch die Nikolaisäule erinnern soll. Bleibt zu hoffen, dass sich möglichst viele Leute möglichst oft daran erinnern.
Mit Musik…
… passierten wir die Nikolaikirche.
Nach der berühmten Mädler-Passage (mit Auerbachs Keller)…
…erreichten wir das Ziel unserer Tour, den Leipziger Marktplatz mit dem Alten Rathaus!
Noch ein Finisher-Foto…
… und ein letzter Blick auf die Uhr. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Nach den letzten 45 Kilometern war ich in Leipzig angekommen, was sicherlich ohne die Unterstützung von Andreas V. nicht möglich gewesen wäre. Insgesamt 206 Kilometer in sechs Tagen hatten wir zurückgelegt und dabei sage und schreibe 31 sehr alte Kirchen gesehen (es ist schließlich ein Pilgerweg)!
Unsere Unterkunft war ganz in der Nähe, so dass erst einmal geduscht und kurz erholt werden konnte. Aber dann brachen wir auch schon wieder auf zu einem langen Sightseeing-Spaziergang. Leipzig ist wirklich eine schöne und interessante Stadt. Man muss ja nicht unbedingt hinlaufen ;-) Ein leckeres Abendessen bei Nieselregen – ja, jetzt regnete es tatsächlich, nachdem wir sechs Tage lang Glück mit dem Wetter gehabt hatten – rundete diesen letzten Tour-Tag ab.
Danke noch einmal an alle, die mich bei diesem Lauf-Projekt unterstützt haben! Zuallererst natürlich an Andreas V. für den tollen 6-Tage-Support, aber auch an Eyyüp, der zwei Tage auf dem Rad dabei war, und an Monika und Klaus, die am ersten Tag mitgelaufen sind. Ohne die vorbereitende Radtour mit Doro hätten wir uns bestimmt noch häufiger verlaufen, und ohne Aylins Auto-Einsatz hätte Eyyüp sicher nicht teilnehmen können. Und der Spargelessen-Besuch von Manuela und auch Klaus’ Vater hat natürlich ebenfalls zur Motivation und somit zum Gelingen beigetragen. Ein großer Dank geht auch an die netten Menschen, denen wir auf der Tour begegnet sind: Herrn Mattheß für die schnelle Rad-Reparatur, den freundlichen Gastgeber:innen der Unterkünfte und den spontanen Weg-Begegnungen! Falls ich jetzt jemanden vergessen haben sollte (und ich bin mir sicher, dass das der Fall ist) – danke an alle, die geholfen haben, dieses kleine Abenteuer zu verwirklichen.
Alle Etappen im Überblick
Etappe 1: 34 km von Marienfelde nach Saarmund
Etappe 2: 38 km von Saarmund nach Treuenbrietzen
Etappe 3: 42 km von Treuenbrietzen nach Lutherstadt Wittenberg
Etappe 4: 20 km von Lutherstadt Wittenberg nach Kemberg
Etappe 5: 26 km von Kemberg nach Bad Düben
Etappe 6: 45 km von Bad Düben nach Leipzig
Vielen, vielen Dank, dass wir durch die schönen Berichte im Geiste an Deinem großen und wirklich beeindruckendem Laufabenteuer teilnehmen durften (diese Kilometerzahl schafft manch einer nicht mal mit dem Rad). Und herzlichen Glückwunsch an Euch beide! Meike
Vielen Dank, Meike, es freut mich sehr, dass dir die Berichte gefallen haben! Das Verarbeiten dieser Tour hier im Blog hat für mich fast noch einmal so lange gedauert, wie der Lauf selber ;-)
Andreas