Das Buch „Mentales Training für Triathleten – und alle Ausdauersportler“ von Jim Taylor und Terri Schneider ist schon etwas älter (die Originalausgabe stammt von 2005), war für mich aber eine Neuentdeckung. Es werden zwar speziell Triathleten angesprochen, aber auch „normale“ Ausdauersportler wie (Marathon-)Läufer können von den meisten Tipps profitieren. Wie so mancher Läufer habe ich eine Menge Bücher zum Thema Lauftraining im Regal stehen, aber abgesehen von ein paar Seiten mit allgemeinen Anmerkungen kommt dort das Thema „Mentales Training“ meist nicht vor. Eigentlich finde ich diesen Bereich für mich als Freizeitläufer eher nebensächlich. Erst wenn ich trotz optimalem Lauftraining und guter Ernährung an Leistungsgrenzen stoße, lohnt es sich meiner Meinung nach, sich Gedanken über mentales Training oder z.B. besseres Equipment zu machen. Wenn ich nur 20 Wochenkilometer trainiert habe, verhilft mir auch kein positives Denken oder ein 20g leichterer Laufschuh zum AK-Treppchenplatz. Andererseits kenne ich „die innere Stimme“ am Ende eines Marathons nur zu gut, die einem einflüstert, wie anstrengend und sinnlos das ganze Unterfangen gerade ist und dass man sich ruhig mal eine kleine Gehpause gönnen sollte. Ein paar Tipps, wie man diese Stimme etwas besänftigen kann, wären also schon nicht schlecht…
Erstklassiges Selbstvertrauen
Am Anfang steht für die beiden Autoren eine Definition: Nicht die so oft (in den Medien und im Profisport) erwähnte Spitzenleistung sei erstrebenswert, sondern die erstklassige Leistung. Denn Spitzenleistung bedeute eine einmalige Bestmarke, von der aus es nur noch bergab gehen könne, während es ja eigentlich das Ziel sein sollte, beständig (sehr) gute Leistungen zu erbringen.
Leider waren die Autoren von diesem Gedankengang so begeistert, dass sie für den Rest des Buches nahezu alles mit dem Adjektiv „erstklassig“ verzieren, von „erstklassigem Triathlon“ über „erstklassiges Selbstvertrauen“ bis hin zu „erstklassigem Erregungsniveau“. Ich habe verstanden, worauf sie – durchaus berechtigt – hinauswollen, aber spätestens nach der fünfter Erwähnung hat mich die penetrante Wiederholung schon etwas genervt.
Mentales Training mit Pyramide
Mentale Techniken sind Fähigkeiten, die man genau wie alle anderen Fähigkeiten trainieren kann. Entsprechend sollte ein mentales Training ebenso wie auch ein Lauftraining schrittweise aufgebaut werden.
Die Bausteine für dieses Trainings gliedern die Autoren in die „Pyramide des erstklassigen Triathlons“. Diese besteht aus 6 Stufen:
- Motivation
- Selbstvertrauen
- Erregung
- Konzentration
- Emotionen
- Schmerz
Im Laufe des Buches wird zu jedem dieser Punkte erklärt, wie er sich auf die (Wettkampf-)Leistung auswirkt und mit welchen mentalen Mitteln man ihn nutzen kann, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Denn klar ist, dass Gefühle unsere Leistungen beeinflussen: Negative Gefühle verschlechtern die Trainings- und Wettkampfleistung, positive Gefühle verbessern sie.
Wer sich fragt, was denn mit dem geheimnisvollen Punkt „Erregung“ gemeint sein könnte, dem sei gesagt, dass es sich hier um nichts Anzügliches handelt, sondern um das Aufregungslevel, mit dem man in eine Trainingseinheit oder einen Wettkampf geht. „Hypernervös“ ist verständlicherweise einer guten Leistung abträglich, aber „vollkommen entspannt und gleichgültig“ ist ebenso verkehrt. Es gilt also, mit den entsprechenden mentalen „Tricks“, die eigene Erregung zu prüfen und nötigenfalls in die richtige Richtung zu korrigieren.
Zitate, Fallbeispiele, Selbsttests
Es würde zu weit führen, hier auf alles einzugehen, was Taylor und Schneider schreiben, aber zusammenfassend sei gesagt, dass das Buch zwar durchaus seine Längen hat, aber auch voller interessanter Details steckt. Es bleibt jedem selber überlassen, ob er sich nach der Lektüre motiviert in einen „mentalen Trainingsplan“ stürzt oder ob er nur versucht, den einen oder anderen kleinen Tipp im Training oder Wettkampf zu beherzigen. Aufgelockert wird das Buch durch viele Zitate von großen Triathleten, diverse „aus dem Leben gegriffene“ Fallbeispiele und den einen oder anderen Selbsttest.
Persönliche Ziele
Was mir sehr gefallen hat, waren die Ausführungen zu den persönlichen Zielen. Es werden sieben Arten von Zielen vorgestellt:
- Langfristige Ziele
- Jährliche Ziele
- Wettkampfziele
- Befindlichkeitsziele
- Trainingsziele
- Lebensstilziele
- Selbstverwirklichungsziele
Die ersten drei sind ergebnisorientiert, die anderen vier prozessorientiert. Die prozessorientierten Ziele sollten beim Training im Mittelpunkt stehen, denn sie sorgen erst für die nötigen Voraussetzungen, die ergebnisorientierten Ziele überhaupt zu erreichen.
Wettkampfziele
Für den Wettkampf werden 6 Hauptziele empfohlen:
- Gehen Sie an den Start
- Achten Sie auf eine gründliche Vorbereitung
- Kämpfen Sie mit Köpfchen
- Finishen Sie stark
- Genießen Sie den Wettkampf
- Sehen Sie auf das Ergebnis
Und zwar von der Wichtigkeit in dieser Reihenfolge! „Gehen Sie an den Start“ hört sich profan an, gemeint ist, dass man fit, gesund und ausgeruht an der Startlinie stehen sollte. Es kommt gar nicht so selten vor, dass Sportler es durch Übertraining, Verletzung oder Krankheit erst gar nicht bis dahin schaffen.
Die weiteren Ziele erklären sich wohl von selbst, wobei für die meisten von uns die Überraschung zum Schluss kommt: Das Ergebnis – also die Zielzeit, Bestzeit, PR, kurz: das Maß aller Dinge – sollte hintenan stehen! Die von den Autoren vertretene Logik ist die, dass sich eine gute Zielzeit von selbst einstellt, wenn man alle vorherigen Ziele beachtet und umgesetzt hat. Wer aber von Anfang an mit dem Gedanken an eine Zeit ins Rennen geht, läuft Gefahr, dass selbst kleinste Kleinigkeiten wie etwa Gegenwind ihn beim Gedanken an die gefährdete Zielzeit mental aus der Spur bringen können und seine Leistung dadurch leidet. Ist was dran, oder?
Prozessorientiert vs. ergebnisorientiert
Dazu passt übrigens das von den Autoren im Kapitel „Konzentration“ unter der Überschrift „Prozess- statt ergebnisorientierte Konzentration“ Gesagte:
„Das wohl größte Hindernis für eine erstklassige Konzentration ist, sich während eines Wettkampfs gedanklich auf dessen Ausgang zu versteifen […] Viele Triathleten glauben, durch Konzentration auf das Ergebnis […] kämen sie diesem Ergebnis näher. Tatsächlich aber beeinträchtigt eine ergebnisorientierte Konzentration die eigene Leistung und entfernt uns viel eher von unseren Zielen! Jedes Mal, wenn Sie sich nicht mehr auf den Prozess, sondern auf das Ergebnis Ihrer Anstrengungen konzentrieren, lässt Ihre Leistung nach […] Um ein gutes Ergebnis zu erreichen, müssen Sie sich auf den Prozess Ihrer Aktivitäten konzentrieren. Darunter fallen beispielsweise Ihre Technik, Ihr Tempo, die Bewältigung von Schmerzen oder der Energienachschub.“
Sehr gut fand ich auch den Satz „Das Training dient dem Zweck, effektive Techniken und Gewohnheiten für den Wettkampf auszubilden.“ Man muss mentale Techniken im Training genau so üben und perfektionieren wie Laufeinheiten, damit sie im Wettkampf zur Verfügung stehen.
Die Psychologie greift übrigens aber nicht nur im Wettkampf, auch der richtige mentale Umgang mit Verletzungen kann geübt werden und so ein wenig helfen, schneller wieder fit zu werden.
Tipps von Profis
Da es sich vorrangig um ein Buch für Triathleten handelt, gehört eines der letzten Kapitel dem Ironman. Die Autoren – Taylor als Ironman und ehemaliger sportpsychologischer Berater des US-Triathlon-Teams und Schneider als ehemalige Profi-Triathletin – haben bei diesem Thema natürlich einiges zu erzählen, aber es fällt positiv auf, dass der Ironman nicht übermäßig glorifiziert wird. Vielmehr weisen die beiden auf richtige und falsche Beweggründe hin, den Ironman laufen zu wollen und warnen sogar abschließend noch vor der „dunklen Seite des Triathlons“. Abgerundet wird das Buch durch eine Menge mentaler und organisatorischer Tipps für die Bewältigung des Ironman und anderer Triathlon-Wettkämpfe.
Fazit
Wie eingangs erwähnt, bin ich mit einiger Skepsis an das Buch und seine Thematik gegangen. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass ich wieder einiges dazugelernt habe. Zwar bin ich immer noch der Meinung, dass mentales Training für Freizeitsportler ein „Luxusthema“ ist, aber zumindest weiß ich jetzt, was ich meiner inneren Stimme auf den letzten Kilometern eines Marathons sagen müsste. Vorausgesetzt, ich hätte meine Antwort zuvor ausreichend mental trainiert ;-)
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Sportwelt Verlag zur Verfügung gestellt.