Eyyüp und ich hatten für unseren ersten Frühjahrsmarathon den Winter durchtrainiert. Nun standen wir gut vorbereitet am Start des Hamburg-Marathon. Unser Zeitziel von 4 Stunden sollte eigentlich gut zu machen sein. Dachten wir…
Die Spannung auf dem Messegelände stieg, die allerersten Läufer wurden auf die Strecke geschickt.
Dann endlich durfte auch unser Block langsam vorrücken.
Es ging los! Der Startkanal mit rotem Teppich und Zuschauertribünen war schon mal toll. Begeistert liefen wir los.
Gleich auf dem ersten Kilometer wartete Doro auf uns, um uns viel Glück für die paar Restkilometer zu wünschen.
Ich achtete sehr auf unser Tempo. Keinesfalls wollten wir zu schnell loslaufen. Trotzdem waren wir einen Hauch schneller als geplant, als wir die Reeperbahn entlang liefen.
Eyyüp, als Lübecker, lernte natürlich sofort einen anderen Läufer aus Lübeck kennen und tauschte Jugenderinnerungen aus.
Eine Läuferin lief sogar im sportlichen Hochzeitskleid.
Schicke Häuschen gibt es in Hamburg in jeder Größenordnung.
An einer Stelle wurden wir stilvoll von einem efeuberankten Balkon angefeuert.
Der als Hamburger Wasserträger verkleidete Läufer ist eigentlich ein Däne, der an diesem Tag bereits zum 26. Mal beim Hamburg-Marathon startete. Vom Streckenrand sollten wir noch oft den Hamburger Schlachtruf „Hummel, Hummel!“ hören, der dann jedes Mal mit einem lauten „Mors, Mors!“ aus dem Läuferfeld beantwortet wurde.
Noch war das Feld um uns herum ziemlich eng. Wir waren aber gut in der Zeit, so dass ich Eyyüp hin und wieder bremsen musste.
Bald waren wir in Othmarschen, dem Wendepunkt an der westlichsten Stelle der Strecke.
Alle liefen so konzentriert vor sich hin, dass ein Läufer erst rufen musste: „Ey, Leute, guckt doch mal!“, damit wir dem Hafen Beachtung schenkten, der zwischen Bäumen jetzt kurzzeitig rechts zu sehen war. Wie immer habe ich viel fotografiert, aber plötzlich passierte, was einmal passieren musste: mir rutschte die Kamera aus der Hand und knallte auf den Asphalt! Laut „Vorsicht!“ rufend ging ich die zwei Schritte zurück, um sie wieder aufzuheben. Bloß nicht einen Folgeläufer zu Fall bringen, das wäre unverzeihlich…
Aber es ging alles gut. Die Kamera hatte einen leichten Schaden, schien aber noch zu funktionieren. Obwohl meine Uhr einen Durchschnitt von 5:35 min/km zeigte, war die „Mauer“ mit dem 4-Stunden-Tempoläufer vor uns.
Langsam kamen wir näher an diesen dichten Pulk heran und überholten an einer günstigen Stelle. Inzwischen waren wir am Hafen mit dem Fischmarkt angekommen.
Eine Shanty-Band im Friesen-Outfit wurde von allen freudig begrüßt.
Die St. Pauli Landungsbrücken waren leider nicht ganz so malerisch, wie ich sie mir vorgestellt hatte, da sich eine große Baustelle direkt davor befand. Naja, wer aus Berlin kommt, kennt Sehenswürdigkeiten kaum ohne Bauzaun.
Hier standen die Zuschauer dicht gedrängt, und es machte richtig Spaß zu laufen.
Extra Power? Nein, im Moment hatten wir beide genug Energie!
Das Läuferfeld wurde enger, also gut auf die Füße aufpassen – aber wo war eigentlich die Elbphilharmonie? Sie war wirklich nur kurz und von weitem zu sehen.
Eyyüp und ich liefen gut und gleichmäßig. Wir waren immer noch beim 5:35er-Schnitt, und ich bremste immer noch ein bisschen, da ich gerne wie geplant die zweite Hälfte einen Hauch schneller laufen wollte.
Eine Trommelgruppe trieb uns vorwärts.
Auf der Höhe der Speicherstadt hatte uns einer der beiden 4-Stunden-Tempoläufer wieder eingeholt. Meine Uhr zeigte hier nach 14 Kilometern einen Gesamtschnitt von 5:36 min/km an.
Eine sehr gute Sache beim Hamburg-Marathon ist übrigens die Staffelkennzeichnung: Staffel-Läufer tragen auch hinten einen Hinweis, so dass man sich keine Gedanken machen muss, wenn man plötzlich mit deutlichem Gwschwindigkeitsunterschied überholt wird.
Vorbei an der Kornhausbrücke mit den Statuen von Vasco da Gama und Christoph Kolumbus…
… liefen wir nun auf den Wallringtunnel zu. Hier wurden alle Läufer durch eine laute Ansage aufgefordert, links zu laufen aufgrund eines Notarzteinsatzes. Aber Menschen in großen Gruppen sind Schafe – es hielten sich nur wenige daran.
Läufer in Tunneln neigen auch zu lautem rhythmischen Klatschen – eigentlich sehr schön und motivierend, nur, wenn ich gerade an jemandem vorbeilaufe, der bei Blaulicht ärztlich behandelt wird, finde ich das keine so dolle Idee. Aber wie gesagt, Menschen in großen Gruppen…
Nach einem halben Kilometer kamen wir wieder ans Licht und liefen auf dem Ballindamm an der Binnenalster entlang.
Bei den Staffel-Wechselpunkten, wie hier am Alsterhaus, war immer was los.
Wir passierten das pompöse Hotel Vier Jahreszeiten…
… und nach einem Blick auf die Alsterfontäne…
… waren wir bald am Hotel Atlantic angekommen, wo ja bekanntlich Udo Lindenberg schon seit 1994 wohnt.
Ich wurde von einem jungen Läufer wegen meines Shirts auf startblog-f angesprochen, und wir unterhielten uns kurz über das Marathonlaufen (es war sein Marathon-Debüt).
Fast hätte ich darüber Doro verpasst, die uns hier bei Kilometer 18 anfeuern wollte. So musste ich in meiner spontanen Freude einmal quer über die Fahrbahn schreien ;-)
Gleich danach eine weitere Überraschung: Von hinten wurde mein Name gerufen, und ich konnte voller Freude Laufblogger Daniel begrüßen! Er war zufällig in Hamburg und hatte sich am Vortag spontan für den Marathon angemeldet. Nur so, einfach ankommen… Klasse!
Hammermann, bist du das?
Wenig später war dann aber für mich der Spaß vorbei. Ich spürte, wie meine Beine immer schwerer wurden. Das konnte doch nicht sein, wir waren doch gerade mal bei der Hälfte! Ein, zwei Kilometer wartete ich noch, ob sich das von alleine legen würde, dann war klar: Ab jetzt ist der Wurm drin, ich verstehe zwar nicht warum, es kann auch eigentlich nicht sein, aber für mich war das Zeitziel 4 Stunden gelaufen. Schweren Herzens bat ich Eyyüp, ohne mich weiter zu laufen und war von diesem Zeitpunkt an „alleine“ zwischen all den anderen Läuferinnen und Läufern.
Die Bäume blühten wunderschön, die Zuschauer waren toll, und ich beschloss, einfach alles mit Zielzeiten zu vergessen und den Lauf einfach zu genießen.
In der Sonne war es inzwischen ziemlich warm…
… und mein Lauftempo wurde langsamer. Wenn ich die 4 Stunden ohnehin vergessen konnte, dann sollte es mir auch egal sein, ob ich in 4:10h oder 4:20h ins Ziel kam. Aber Spaß sollte es machen!
Ich versuchte, den Lauf einfach zu genießen, klatschte Kinderhände ab…
… und freute mich über die netten Leute am Streckenrand.
Musikgruppen gab es eher selten, und oft machten sie gerade Pause, wenn ich vorbeikam.
Schon zu diesem Zeitpunkt legten viele Läufer Gehpausen ein.
Bei Kilometer 30 hatte ich zweieinhalb Minuten Rückstand auf meine ursprüngliche Zielzeit, aber das war jetzt egal.
In Ohlsdorf war richtig was los, und es machte enormen Spaß, obwohl es läuferisch gar nicht lief.
Durch einen aufgeblasenen Zielbogen – aber nix da, es liegt noch ein bisschen vor uns! – ging es vorbei am ehemalige Freibad Ohlsdorf.
Wir hatten nun den nördlichsten Punkt der Strecke erreicht. Immer öfter kamen nun leichte Krämpfe in meinen Beinen hoch. Der Witz dabei: Wenn in den letzten Wochen etwas im Training gemuckt hatte, dann war es der linke Oberschenkel gewesen. Und wo kamen jetzt die Krämpfe? In der rechten Wade, in der linken Wade, im rechten Oberschenkel… nur im linken nicht!
Die Zuschauer klatschten und freuten sich. Für sie war das sonnige Wetter natürlich klasse. Für uns Läufer, die den Winter bei -10 bis +5 Grad trainiert hatten, waren die „idealen“ Temperaturen von 14-20 Grad eher weniger schön.
Die junge sportliche Frau im Neon-Shirt fiel mir auf, da sie – wie ich und viele andere auch – immer mal wieder kurze Gehpausen einlegte. Allerdings lief sie danach dann immer extrem flott los. Nur um dann bei der nächsten Gehpause wieder von uns anderen eingeholt zu werden.
Hin und wieder wechselte ich ein paar nette Worte mit den gutgelaunten Zuschauern.
Auf der Alsterkrugchaussee gab es einen erfrischenden Wasserstrahl. Wegen der Kamera verzichtete ich aber darauf.
Ich nahm jeden Getränkestand mit und bedankte mich auch jedes Mal bei den Helfern, unter denen auch viele Schülerinnen und Schüler sind.
Nach einem Querflöten-Ensemble im hohen Gras…
… gab es bei Kilometer 36/37 plötzlich eine große Überraschung: Die Nr. 2 ging! Ich sagte ihm im langsamen Vorbeilaufen ein paar aufmunternde Worte. Wie ich später erfahren habe, handelte es sich um Sammy Kitwara, einen der Favoriten, der im vergangenen Jahr noch den Valencia-Marathon gewonnen hatte.
Es gab zwar auch viele Abschnitte ohne Zuschauer, aber wenn sie da waren, waren sie einfach klasse!
Auch die Musikgruppen machten ihre Sache gut, wenn ich auch richtige Rockbands vermisst habe. Dabei ist die Stadt Hamburg eigentlich voll davon.
Neben den krampfigen Beinen plagte mich seit einigen Kilometern ein weiteres Problem. Mein Magen rebellierte! Keine Schmerzen, aber er war eindeutig überfordert. Hatte ich zu viel getrunken? Zu viel durcheinander? War mir das Gel nicht bekommen? Klar war auf jeden Fall: Nie und nimmer würde ich jetzt Red Bull vertragen…
Ein Großteil der Läuferinnen und Läufer konnte offensichtlich zu diesem Zeitpunkt mit den frisch verliehenen Flügeln auch nicht mehr viel anfangen.
In der Lehnartzstraße empfing uns tolle Stimmung. Die Zuschauer standen hier eng, klatschten, riefen uns Läufer mit Namen an und gaben so noch einmal etwas Schub. Trotz meiner diversen Problemchen machte es einfach Freude, hier dabei zu sein.
Mal wieder eine Trommelgruppe, die just bei meiner Ankunft beschloss, Pause zu machen.
Noch ein Stimmungs-Highlight: Der Eppendorfer Baum mit vielen und lauten Zuschauern und einem weiteren aufgeblasenen Zielbogen. Sollte man sich den Hamburg-Marathon als eine endlose Aneinanderreihung von Zieleinläufen vorstellen?
An der Außenalster entlang wiederholte sich das immergleiche Spiel: Gehende Läufer überholen, selber gehen, von denselben Läufern wieder überholt werden, weiterlaufen, gehende Läufer überholen…
Am nächsten Tag gab es übrigens schlechtes Wetter in Hamburg. Und warum? Weil die Cracks ihre Eigenverpflegung nicht ausgetrunken hatten!
Das Heer der Geschlagenen wurde immer größer. Auch bei mir kamen die Krämpfe immer wieder auf und zwangen zu ein paar Gehschritten.
So langsam kam ich an die Stelle, an der Doro auf mich warten wollte.
Die Aufmunterung meiner Frau tat gut. Ich versicherte ihr, dass es mir gut ginge, ich sei nur etwas geschafft (ähem). Später erzählte sie mir von einem Mann, der sich an dieser Stelle bei seiner wartenden Frau beklagt hätte. Er sei so schlecht und eine Schande für seine Laufgruppe… Über so etwas kann ich nur den Kopf schütteln.
Wir kamen dem Ziel näher, und Läufer und Zuschauer gaben noch einmal alles.
Eine letzte Straßenecke und wir bogen ab auf die Zielgerade. Kilometer 42! Das Ende der Strapazen war nah.
Was dann folgte, war einfach nur grandios. Wir liefen auf dem roten Teppich auf das Ziel zu, die Zuschauer auf den Tribünen links und rechts tobten…
… vor mir rissen Läufer jubelnd und erleichtert die Arme hoch, ein letztes Foto und dann war ich im Ziel!
Ein schönes Debakel
Die Zeit von 4:18:02 war natürlich weit von meinen ursprünglichen Erwartungen entfernt, aber irgendwie war an diesem Tag auch der Wurm drin gewesen. Wenn schon bei Kilometer 20 die Beine schwer werden, dann soll es eben nicht sein. An der Vorbereitung kann es nicht gelegen haben, die war nahezu perfekt. War ich vielleicht am Vortag doch etwas zu lange in Hamburg beim Sightseeing auf den Beinen gewesen? Nach der ersten Hälfte, die gemeinsam mit Eyyüp absolut exakt im Plan gewesen war, war die mit 20 Minuten langsamere zweite Hälfte aber auch kein Spaziergang gewesen. Das machte mir nämlich mein Körper klar, nachdem ich bereits 10 Minuten glücklich im Ziel war: Ich bekam plötzlich Kreislaufprobleme, die sich erst nach etwa 20 Minuten wieder legten!
Insofern wurmt es mich zwar ein wenig, dass ich das so gut vorbereitete Zeitziel nicht erreicht habe, ich bin aber zuallererst froh, mal wieder einen Marathon gefinisht zu haben und gesund angekommen zu sein. Außerdem ist der Hamburg-Marathon mit seiner Atmosphäre ein tolles Erlebnis gewesen.
Fazit also: ein „schönes Debakel“!
You’ll never walk alone
Eyyüp hatte sich übrigens nach unserer Trennung zur Halbzeit zwischenzeitlich einen deutlichen Vorsprung herausgelaufen, musste dann aber ab Kilometer 32 seinen starken Krämpfen Tribut zollen und ließ sich sogar am Streckenrand massieren. Am Ende kämpfte er sich unter Schmerzen drei Minuten vor mir ins Ziel. Es gibt halt so Tage…
Dass es uns nicht alleine so erging zeigen die Zahlen: Von 14.452 gemeldeten Marathon-Läuferinnen und -Läufern waren 10.714 gestartet, aber nur 10.009 im Ziel angekommen. Die Zahl von über 700 ausgestiegenen Läufern war damit doppelt so hoch wie im Vorjahr. Darüber hinaus mussten zwei Läufer reanimiert werden, 23 weitere wurden ins Krankenhaus gebracht.
Moin!
Klasse geschrieben! Tolle Bilder und für mich Motivation nach 10 Wochen Laufpause wieder anzutraben um 2019 wieder in meiner Heimatstadt an den Start zu gehen.
LG Sönke
Deinen tollen Bericht zu lesen hat viel Spaß gebracht und jede Menge schöner Erinnerungen hervorgerufen!
Super, dass du überhaupt gefinisht hast, vielleicht war die Temperatur doch zu hoch und dazu noch die Sonne?
Wirklich sehr schade, dass es in Zukunft keine Fotos mehr gibt
Alles Gute
@Sönke
Danke! Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg beim Wiederantraben und natürlich dann auch beim HH-MA 2019, ist schon ein sehr schönes Laufevent!
@Ingo
Danke, die Wärme war sicherlich ein Grund, aber alleine daran kann es nicht gelegen haben. Ich denke, die Sache mit den Fotos ist nur vorübergehend. Mal sehen, wie sich da die Rechtslage entwickelt. Von unseren Trainingsläufen wird es aber auf jeden Fall Fotos geben!
Für jemanden, der noch nie selbst einen Marathon gelaufen ist und es vermutlich auch nie tun wird, sind solche Berichte unabhängig von der Laufzeit wirklich respekteinflößend. Sehr schön und lebendig geschrieben, Danke dafür.
Das schicke Häusschen ist übrigens das Rathaus des Stadtbezirks Altona :-)
Viele Grüße.
Hallo Mika,
danke für die netten Worte! Schicke Häuschen gibt es in Hamburg ja so einige, aber jetzt weiß ich zumindest, wie dieses sehr repräsentative hieß ;-)
Tolle Bilder. Ich hab ja eigentlich nicht mehr so richtig Lust auf Straßenmarathons, aber bei HH könnte ich noch mal schwach werden.
Glückwunsch zum Lauf! :)
Du wolltest doch auch mal nach Kassel kommen… ;)
Hallo Martin, so ganz viel Lust auf Straßenmarathons habe ich auch nicht mehr, aber Hamburg kann man auf jeden Fall machen! Und das mit Kassel überlege ich mir noch mal ;-) Aber keineswegs dieses Jahr…