Mein zweiter Lauf am vergangenen Kassel-Wochenende war ein Lauf zur documenta. Nicht, dass ich nicht am Vortag schon fast einen ganzen Tag lang durch diverse Ausstellungshallen gepilgert wäre (direkt nach meinem Lauf zum Herkules, uff). Aber an diesem Morgen wollte ich mal die Kunstwerke und die Stimmung in der Karlsaue läuferisch genießen…
Anfangs musste ich ein wenig durch die Stadt und war ziemlich erstaunt, als durch den Morgennebel plötzlich ein Stückchen Berlin auftauchte: Da standen tatsächlich der Berliner Bär und ein Mauersegment vor mir. Und zwar an der Berliner Brücke am Berliner Platz!
Bald war ich in der Innenstadt und konnte am Hauptbahnhof den „Himmelsstürmer“ (Man walking to the sky) von Jonathan Borofsky entdecken.
Die Treppenstraße, die zum Zentrum der documenta führt, war noch leer und neblig.
Am Friedrichsplatz angekommen bot sich mir ein merkwürdiges Bild: Durch die neblige Stille tönte aus dem Roten Palais laute klassische Musik, während ein einsamer Müllmann zwischen den Säulen kehrte und über ihm auf dem Dach „Die Fremden“ von Thomas Schütte – ein Klassiker der documenta 9 – in die Ferne sahen.
Das Museum Friedricianum sieht man zu documenta-Zeiten nicht oft so menschenleer. Da muss man schon früh aufstehen ;-)
Das Occupy-Camp auf dem Friedrichsplatz schlief noch, hatte aber für einsame Kunstsuchende wie mich vorsichtshalber noch ein eigenes Werk ausgestellt.
Den Adam-und-Eva-Aufkleber hatte ich bereits gestern entdeckt, der musste jetzt aber unbedingt aufs Foto ;-)
Die documenta-Halle schien schon still auf den Besucheransturm des heutigen Tages zu warten.
Durch die spiegelnden Scheiben konnte ich die Kunstwerke von Etel Adnan, Gustav Metzger und Julie Mehretu sehen, die ich gestern noch von nahem betrachtet hatte.
Der documenta-Klassiker „Rahmenbau“ von Haus-Rucker-Co lenkte an diesem Morgen nicht wie üblich den Blick auf die Orangerie, sondern zeigte nur einen Nebelausschnitt.
Auf der Wiese nebenan stand „Idee di pietra“ (Ansichten eines Steins) von Giuseppe Penone, ein Bronzebaum mit echtem Stein.
Der documenta-Shop erholte sich noch vom gestrigen Besucheransturm.
Die Orangerie in der Karlsaue ist immer wieder schön. Es war so still, dass ich deutlich meine Schritte auf dem feinen Kies hören konnte.
Im Zentrum der Karlswiese sah ich nun „Doing nothing“ von Song Dong, einen bewachsenen Grashügel aus Wohlstandsmüll, verziert mit chinesischen Schriftzeichen.
Ich lief vorbei am magischen Baum von Issa Saab. Sah interessant aus, aber von Magie war nichts zu spüren, wie ich so alleine davor stand.
Natürlich gibt es in der barocken Karlsaue auch jede Menge klassische Skulpturen, wie die von Pluto und Proserpina, die hier den Joggern beim Laufen zusehen – oder mit sich selbst beschäftigt sind.
Ich lief am Hirschgraben entlang auf eine Brücke zu. Ein Schwan zog gelassen seine Spur durch das Wasser.
Und wieder Kunst: „Clocked Perspective“ von Anri Sala am Ende des Hirschgrabens.
Im Aueteich gibt es eine kleine Insel mit einem kleinen klassizistischen Tempel, den ich jetzt zwischen den Bäumen hindurch sah.
Am Ufer des Aueteichs ragten geheimnisvolle Baumsilhouetten im Gegenlicht aus der Wiese.
Beim Anblick von Gabriel Lesters Betonröhre „Transition“ dachte ich, ob man dort wohl immer im Kreis laufen kann, bis man als besserer Läufer wieder heraus kommt?
Inzwischen war ich auf dem Rückweg und kam an der „Mangoldfähre“ von Christian Philipp Müller vorbei.
Ich war nun wieder an der Orangerie angekommen. Der Morgennebel hatte sich deutlich gelichtet und zwischen den Skulpturen konnte ich die Zypressen von Maria Loboda erkennen.
Damit war mein Karlsaue-Kunst-Rundlauf beendet und ich machte mich wieder auf das Stück durch die Stadt nach Hause. Aber Kunst ist offensichtlich überall in Kassel…
Eine letzte kleine Steigung zur Brücke über die Bahntrasse und ich war schon fast wieder am Frühstückstisch.
Nach etwas mehr als 13 Kilometern im 5:40er-Schnitt (aber mit vielen Fotopausen) war ich zurück und hatte mal wieder viel gesehen auf einem Lauf in einer fremden Stadt!
Danke für die tollen Eindrücke! Ich denke, ich muss auch mal nach Kassel reisen.. ;-)
@Eddy
Kann ich auf jeden Fall empfehlen. Und nicht nur zum Laufen ;-)
ein wahrhaftiger kunstlauf, der lust auf die ausstellung macht (wie merkst du dir bloß die namen der künstler und objekte?)
p.s.: vielleicht klappts bei mir mit ratzeburg ja doch noch, da die anmeldung erst am 01.09. startet?
@Der Blaue
Nee, nix mit merken: Zum einen habe ich natürlich vor dem documenta-Besuch ein bisschen gelesen, und zum anderen gucke ich beim Schreiben dann vieles nach.
Würde mich freuen, wenn wir uns in Ratzeburg sehen würden, aber mach mal ganz langsam und erhol dich, das ist noch etwas hin…
Impressionen wie im nebelverhangenen Venedig. Naja, fast ;-)
@Hanna
Nur dass in Venedig das Laufen durch die Kanäle nicht so leicht fällt ;-)
Sobald ich eine neue oder andere Stadt aus als Berlin betrete, müssen die Laufschuhe raus aus der Reistasche. Ich kann auch nicht anders und muss immer wieder gleich etwas entdecken wollen!
Kassel war ich noch nie, sieht aber nach einer wunderbaren Runde mit vielen schönen Eindrücken aus.
Die Aussicht vom Herkules oben ist ja auch beeindruckend. Das hat sich wirklich gelohnt.
Viele Grüße, auch an den Streak-Runner. 900 Tage, unglaublich!
@Din
Ja, das „laufende“ Entdecken neuer Städte und Landschaften macht mir auch sehr viel Spaß. Ich freue mich immer wieder, wenn ich mal auf Reisen zum Laufen komme.
excellent , thanks !!
http://www.emergencyrooms.org/documenta_kassel.html