Am Samstag waren Klaus und ich unterwegs, um die 5. Buchstabenlauf-Etappe meiner XT Wings Challenge zu absolvieren. Die Strecke sollte einmal quer von Neukölln über Kreuzberg nach Schöneberg führen. Inzwischen sind wir nämlich schon so erfahrene Buchstabenläufer, dass wir die Wörter auch rückwärts schreiben können…
Da die Strecke dieses Mal ein sehr weites Gebiet umspannte, fuhren wir zuerst mit dem Auto zum Endpunkt unseres Laufs – dem Innsbrucker Platz – und dann mit S- und U-Bahn zum eigentlichen Start – dem Rathaus Neukölln – um von dort unseren Buchstabenweg zurückzulaufen. Die Straßen waren um diese Zeit noch leer, so dass es zuerst nicht so richtig was zu sehen gab. Einzig, dass es hier videoüberwachte öffentliche Parkplätze am Straßenrand gab hat uns erstaunt.
Erster Blickfang bei Kilometer 1, wir waren gerade am Fuß unseres ersten Buchstaben „T“, war der Wasserturm Neukölln, immerhin mit 40 Metern Höhe der größte noch vorhandene Wasserturm in Berlin. Er steht übrigens auf dem Rollberg, der dem Viertel auch seinen Namen gab. Dass es sich hier um einen Problembezirk handelt, haben wir um diese Zeit allerdings nicht erkennen können.
Alles schlief, nur ein paar Laden- und Hundebesitzer waren schon auf, um ihre Geschäfte zu erledigen bzw. erledigen zu lassen. Ansonsten friedliche Stille, nur die Geräusche unserer Laufschuhe auf dem Fußweg.
Nach dem ersten „T“ am Morgen folgte gleich ein zweites „T“ („Noch’n Tee?“ „Gerne!“), an dessen Ende wir am Columbiadamm auf einen Imbiss stießen, der auf der heruntergelassenen Jalousie damit warb, dass bei ihm geraucht werden darf. Natürlich draußen. Arme Würstchen! Vorbei ging es am Sommerbad auf dem noch nicht ganz fertig gestellten Fußweg. Hier fiel mir auf, dass nun meine XT Wings endlich den Laufuntergrund bekamen, für den sie eigentlich bestimmt sind: Schotter und Geröll. Schöner wäre es natürlich in den Bergen, aber eine Berliner Baustelle tut es zur Not auch…
Vom Columbiadamm – der seinen Namen übrigens dem Langstrecken-Weltrekord-Flugzeug „Miss Columbia“ (1927) verdankt – ging es dann rechts ab in die Hasenheide, die wir auf einem „I“ (genau: dem in „heide“) einmal hin und zurück durchquerten. Dass man um diese Zeit in Parks auf vereinzelte Jogger stößt, war uns ja bekannt, neu war für uns allerdings der Anblick dreier komplett verhüllter, muslimischer Walkerinnen!
Den gedachten „I“-Punkt bildete das Trümmerfrau-Denkmal im Norden der Hasenheide. Wie es sich für einen Berliner Park gehört, stand auch hier am Eingang ein deutsch-türkisches Verbotsschild. Und da wir uns ja auf einer Kombination aus Fitnesseinheit und Bildungsurlaub befinden, lerne ich gleich, dass das türkische Wort für „verboten“ wohl „yasaktir“ heißen muss. Kurzer Check der Tafel: Hunde haben wir nicht, Schnee liegt offensichtlich auch nicht (es sind inzwischen über 20 Grad um gerade mal halb acht), Grill haben wir nicht dabei, Ballspiele sind ebenfalls nicht geplant… also weiter!
Der Columbiadamm ist eine ideale Marathon-Strecke: flacher Asphalt bis zum Horizont. Aber so weit wollten wir gar nicht und so bleiben wir erst einmal an den nächsten Sehenswürdigkeiten stehen, um mit dem Nokia-Handy ein paar schnelle Fotos zu machen.
Auf der linken Seite kommen nämlich jetzt in kurzer Folge erst die ?ehitlik-Moschee mit dem angrenzenden Türkischen Friedhof (immerhin von 1863 und somit älteste islamische Begräbnisstätte in Deutschland) und das Rosinenbomber-Denkmal auf dem Flughafen Tempelhof. Die „Rosinenbomber“-Idee wird übrigens dem amerikanischen Piloten Gail Halvorsen zugeschrieben. Dieser hatte in der Zeit der Berliner Luftbrücke damit begonnen, Schokoladentafeln, die er von seinen Verwandten aus Amerika zugeschickt bekam, an Taschentücher zu binden und sie vor der Landung über Berlin abzuwerfen.
Nun ging es vom Columbiadamm rechts ab in die Lilienthalstraße zum nächsten Buchstaben, einem „R“. Hier befinden sich die Rückseiten von den gleich vier Friedhöfen der Bergmannstraße. Und während sich innerhalb der Friedhofsmauern auf den Grabsteinen von den Lieben verabschiedet wird, wird die Rückseite – an der wir jetzt entlangliefen – genutzt, um mit Graffiti den Lebenden die Liebe zu gestehen. Nicht schön, aber interessant.
Etwas weiter bewundert Klaus einen alten Mercedes und ich entdecke längst verblichene Auto-Werbung in mehreren Schichten – auf der Friedhofsmauer!
Als wir um die Ecke biegen, wird uns schnell klar, dass wir in einer Auto-Gegend gelandet sind. Hier ist die Zulassungsstelle, und so reiht sich – wieder ausgerechnet am Zaun der Friedhöfe – eine Schilderbude an die andere. Dummerweise endet auch der Weg, den wir zur Vollendung unseres „R“ nun laufen müssen, hier am Zaun. Kein Eingang weit und breit. Hilft alles nichts, rüber und weiter geht es mit dem „R“.
Am anderen Ende erwartet uns dann auch der „reguläre“ Eingang des Friedrichswerderschen Kirchhofs. Nun sind wir an der Bergmannstraße ankommen – am 20. April 1837 nach der Großgrundbesitzerin Marie Luise Bergmann benannt, der die Ländereien dieser Gegend gehörten – und biegen nach rechts ab in Richtung Südstern.
Zuvor muss ich aber noch die Armada von Gießkannen fotografieren, die hier in der Morgensonne einträchtig angeschlossen auf ihre Besitzer warten. Oops, auch Klaus wartet mal wieder (geduldig! Danke!) auf mich… Bin schon fertig, es geht weiter.
Wir laufen auf der Bergmannstraße an den Friedhöfen entlang und am Ende entdecke ich, dass die äußersten Grabstätten direkt an die angrenzenden Wohnhäuser stoßen. Oder anders herum: die Wohnhäuser wurden irgendwann direkt an die Gräber gebaut! Von wegen Totenruhe. Am Ende unseres „R“ kommen wir wieder auf den Columbiadamm und haben erneut mit dem Tod zu tun: Hier steht ein kleines Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des KZ Columbia.
Auf den nächsten Kilometern erholen wir uns etwas von diesen düsteren Sehenswürdigkeiten. Nach kurzer Besichtigung der Marheineke-Markthalle machen wir an einer kleinen Bäckerei in der Friesenstraße halt und genehmigen uns ein Croissant. Klaus bekommt darüber hinaus noch einen Kaffee und mein kleiner Zeh sein obligatorisches „Nach-10-Kilometern-Pflaster“ und dann geht es weiter, ein „H“ laufen.
Durch die Fidicinstraße geht es vorbei an wunderschönen Gründerzeithäusern, auf deren eleganten Balkons einige Kreuzberger gerade zwischen Stuck und Statuen beim Frühstück sitzen.
Am Tempelhofer Damm angekommen laufen wir erst einmal nach rechts, um auch den zweiten senkrechten Strich des „H“ zu absolvieren, und drehen dann wieder um in Richtung Süden. Nun sind wir an der „Hungerharke“ angekommen, dem Luftbrücken-Denkmal am Flughafen Tempelhof. Erstaunlich ist, dass auch das gegenüber liegende Landeskriminalamt, an dem wir im Anschluss vorbeikommen, eine Art „Harke“ über dem Eingang hat.
Die nächsten Kilometer laufen wir nach all den Fotostopps wieder etwas flüssiger, wenn ich auch nicht umhin kann, am Viktoriapark eine Tafel mit lauter Herzen und Liebesschwüren zu fotografieren. Einige Meter weiter zelebrieren auch Neptun und eine Nixe das Thema. Oder hatte sie sich nur die Flosse verstaucht?
Nun geht es um den Viktoriapark, der auf eben jenem Kreuzberg liegt, der dem Stadtteil seinen Namen gab, rechts herum die – na, ratet mal? – genau: Kreuzbergstraße hinein und dann auch wieder zurück. Ach, das war ja schon das „C“, das wir da gerade hinter uns gelassen haben!
Auf dem relativ langen Verbindungsstück zu unserem nächsten Buchstaben passieren wir an den Yorckbrücken die Grenze zwischen Kreuzberg und Schöneberg. Dieses Brückenensemble, bestehend aus einst 45 Brücken (12 sind inzwischen nicht mehr vorhanden), steht inzwischen unter Denkmalschutz. Meine kluge Freundin Wiki Pedia sagt mir, dass es sich um Blechträgerbrücken mit Hartungschen Säulen handelt. Und an eben einer jener Hartungschen Säulen möchte Klaus nun ein Foto von mir machen. Unter den Augen von grinsenden Passantinnen wird auch das geschafft und wir wollen gerade weiterlaufen, da merke ich, dass meine Hände vollkommen dreckig sind: die Hartungschen Säulen wurden offensichtlich seit ihrer Errichtung um 1880 nicht mehr geputzt ;-)
Die folgenden 3 Kilometer sind recht fotoarm und bestehen tatsächlich nur aus dem, was dem Ereignis seinen Namen gab: dem Lauf (!) eines Buchstabens. Ein großes „S“ inklusive langem Verbindungsstück haben wir geschafft, als wir am Rathaus Schöneberg ankommen. Hier hat bekanntlich am 26. Juni 1963 John F. Kennedy seine legendären Worte „Ich bin ein Berliner!“ gesprochen.
Heute allerdings war Berlin offensichtlich dabei, sich von Erinnerungen zu trennen, denn auf dem Platz vor dem Rathaus fand ein großer Flohmarkt statt.
Nach kurzem Bummel – soviel Zeit muss sein – durch die Stände mit den unglaublichsten Sachen ging es weiter. Zuvor habe ich aber noch ein Foto „Läufer im Spiegel“ gemacht, was den Wert des Objekts aber wohl leider auch nicht groß anhob, und Klaus mit einem Fundstück für die Ewigkeit festgehalten: der CD „Der Zauber von Berlin“ von Steffi & Bert! Und durch dieses Zauberland der Buchstaben ging es jetzt dem Ende der Etappe zu.
Für den heutigen Tag fehlte uns nur noch ein im Bayerischen Viertel gelaufenes „N“. Wir waren mit den Gedanken schon ein wenig auf der Heimfahrt, als uns plötzlich ein Schild auffiel. „Was soll denn das sein?“ – „Ein altes Radio, glaube ich.“ Stirnrunzeln, weiter. Dann der Ruf von Klaus: „Da steht hinten noch was drauf!“ Tatsächlich! Wir hatten eine von vielen Holocaust-Gedenktafeln entdeckt, die im Bayerischen Viertel an diese dunkle Epoche der deutschen Geschichte erinnern. Die Bewohner des Viertels waren damals Ärzte, Rechtsanwälte, gehobene und höhere Beamte, Künstler und Intellektuelle, darunter viele Juden (unter anderem hat Albert Einstein hier gelebt). Die Schilder dokumentieren, wie mit diesen Menschen bereits Anfang der 1930er Jahre umgegangen wurde. Unfassbar!
Mit diesen starken Eindrücken endete der 5. Buchstabenlauf. Trotz der vielen Pausen waren wir doch recht geschafft nach diesen 20,5 Kilometern, denn die Temperaturen hatten selbst in den frühen Morgenstunden schnell die 25-Grad-Marke erreicht. Und außerdem wissen wir jetzt auch, warum es Kreuzberg und Schöneberg heißt ;-)
Noch ein Abschlussfoto am S-Bahnhof Innsbrucker Platz mit den Schöneberger Wappenhirschen im Hintergrund, und fertig! Danke Klaus, dass du mich auf dieser umfangreichen Tour „durch die Berge“ (bergs?) begleitet hast!
» Fotos der 5. Buchstabenlauf-Etappe in besserer Qualität auf flickr.com
» Berlinkarte mit den Fotos der 5. Buchstabenlauf-Etappe auf flickr.com
» Luftbild mit dem 5. Buchstabenlauf in höherer Auflösung (2,5 MB)
» Luftbild mit dem Buchstabenlauf-Gesamtstatus in geringer Auflösung (122 k)
» Luftbild mit dem Buchstabenlauf-Gesamtstatus in hoher Auflösung (3,8 MB)
Kreuzberger Morgen sind kurzweilig.
Wieder ein sehr interessanter Bericht von dir. Jetzt ist der Satz aber sehr schön zu erkennen. Ich habe am Wochenende auch einen kleinen Buschstabenlauf um den Echinger See bei München gemacht. Fünfmal ein “O” gelaufen macht “OOOOO”
Das Buchstabenlaufen greift um sich, wunderbar! Jetzt hat es sogar schon den Weißwurst-Äquator überschritten…
Ich bin gespannt, wie dein Wort weitergeht ;-)