Vor kurzem hätte sich fast zufällig ein gemeinsamer Lauf mit der Schweizer Ultraläuferin Anna Hughes ergeben.
Leider hat es nicht geklappt, aber beim Besuch ihrer Website www.ultra-running-insights.com war ich beeindruckt davon, wie engagiert (und erfolgreich: u.a. hat sie den Swiss Jura Marathon 2009 als zweite Frau gefinisht!) sie das Ultralaufen betreibt und wie intensiv sie sich mit allen Aspekten des Ultralaufs beschäftigt.
Ich habe sie daher nachträglich zum spannenden Thema Ultralauf befragt…
An welchen Ultralauf erinnerst du dich am liebsten?
Jeder Ultralauf, den ich gelaufen bin, hat etwas Besonderes. Ein Meilenstein jedoch war sicher der Marathon des Sables im April 2008. Dies war mein erster Ultra und gleich ein Etappen-Rennen. Dort habe ich meine Leidenschaft für die ganz langen Läufe entdeckt, vor allem auch, wie wichtig eine gute mentale Vorbereitung ist. Erst auf der langen 75-km-Etappe habe ich gemerkt, dass mentale Stärke ein entscheidender Aspekt ist, um jeden Ultra ins Ziel zu bringen bzw. zu finishen.
Ich kann jedem Ultramarathon, den ich bewusst entscheide zu laufen, etwas Besonderes und Schönes abgewinnen. Daher lege ich mich nie speziell nur auf beispielsweise 12/24-Stunden Läufe fest, sondern probiere verschiedene Ultras aus.
Wie sieht eine typische Trainingswoche bei dir aus?
Dieses Jahr war ich lange verletzt und konnte nur bedingt trainieren, von daher nehme ich als Beispiel, wie eine typische Trainingswoche aussieht, mal das letzte Jahr: in den Monaten vor einem Ultra (im Juli 2009 lief ich den Swiss Jura Marathon, 350 km in 7 Etappen von Genf nach Basel) laufe ich unter der Woche nur einmal lang, d.h. 90-120 Minuten, am Wochenende dann samstags und sonntags lange und bergig. Lange Läufe heisst an einem Tag 2,5-3 Stunden und am darauffolgenden nochmal 2 Stunden oder länger. Diese ‘back-to-back’-Einheiten simulieren die körperliche und geistige Ermüdung, wie sie bei einem Ultralauf nach mehreren Stunden auch eintritt. Je mehr man dies trainiert, desto schneller kann man diese Tiefs überwinden, da die Muskeln sich durch diese Einheiten optimal an die Belastung anpassen. Gern mache ich auch Kombitraining aus Rennrad/Laufen und trainiere mit Mentaltraining bis zwischen 25-30 Stunden, dies aber nur 3-4 mal vor einem grossen Lauf.
In solchen Phasen komme ich auf 150-180 km, dies würde ich aber nie zu oft machen, sondern immer nur bis zu 75% der Zielzeit trainieren. Ausserdem laufe ich ca. 80% abseits von Asphaltstrassen. Wenn das Terrain variiert, ist man auch etwas belastbarer, da andere Muskelgruppen angesprochen werden. Dies heisst: beim Etappenlauf wollte ich ca. 40 Stunden Gesamtzeit brauchen, also habe ich bis zu 30 Stunden trainiert, die einzelnen Etappen wollte ich in ca. 5-7 Stunden laufen, heisst also, dass mein längster Lauf pro Einheit 3,5-5 Stunden war. Diese Läufe mache ich in gutem Tempo, nie joggend, sondern variiere das Tempo, am Berg zügig, dafür bergab gedrosseltes Tempo oder umgekehrt. Die langen Läufe verteile ich manchmal auf zwei Einheiten am Tag. Also den ersten Lauf ca. 2 Stunden, dann 4 Stunden Recovery und dann nochmal 90 Minuten. Dies trainiert auch wieder die Muskeladaption.
Unter der Woche mache ich 1-2 Key Sessions, also Einheiten mit speziellem Akzent auf Intensität und Geschwindigkeit: Berganläufe/Intervalle, Treppentraining, Pyramiden oder 30-45 Minuten Tempolauf. Ich laufe nie mit Herzfrequenzmesser, nur in einer Erholungswoche, sondern trainiere nach Gefühl, was sich total bewährt hat. Ich schaue auch nicht penibel auf zurückgelegte Kilometer. Ob ich nun 90 oder 95 km in einer Woche gelaufen bin, macht mich nicht unbedingt langsamer oder schneller. Ausschlaggebend ist die Qualität der einzelnen Einheiten. Ich mache ausserdem immer 4-Wochen-Blöcke: 3 Wochen Intensität, dann eine Woche wirkliche Erholung mit nur einer schnelleren Einheit. Erst in Erholungswochen wird man schneller, dies wird häufig unterschätzt.
Wie schaffst du es, die Zeit für dein Training in den normalen Alltag zu integrieren?
Indem ich einen straff organisierten Tag habe, zumindest die Vormittage. Meine Töchter (6 und 8) sind vormittags in Schule und Kindergarten, so dass ich dann gut trainieren kann und am Wochenende plane ich meine langen Einheiten. Stabilisations-und Kraftübungen mache ich zu Hause, besuche nicht extra ein Fitness-Studio, sondern habe das wichtigste Equipment für die Übungen zu Hause. Dies erfordert Disziplin, funktioniert jedoch gut.
Was sind deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen dem Marathon- und dem Ultramarathon-Training?
Das mentale Training ist enorm wichtig, natürlich auch beim Marathon, aber in einem Ultra zeigt sich am Ende, wer mental stärker ist und somit noch Reserven freimachen kann, um nicht aufgeben zu müssen. Daher empfehle ich, unbedingt in mentale Techniken wie beispielsweise Visualisieren und Meditation zu investieren, ca. 3-5 mal pro Woche für 15-20 Minuten. 50% wird in einem Ultrarennen mit dem Kopf gelaufen. Derjenige, der mental besser vorbereitet ist und durchaus weniger Kilometerumfänge gelaufen ist, wird gewinnen vor demjenigen, der nur Kilometer geschrubbt hat und mental nicht vorbereitet ist.
Was gehört neben dem Training zur guten Vorbereitung auf einen Ultramarathon?
Im Training sollte die individuelle Ernährung ausreichend getestet werden. Manche schwören auf Kalorienaufnahme in Gelform, andere können nur Riegel vertragen. Es gibt also verschiedene Lösungen und jeder sollte immer wieder im Training bei langen Läufe die Wettkampfbedingungen simulieren und die Ernährung testen, um dann im Rennen vorbereitet zu sein.
Was hat ein Ultraläufer beim Rennen eigentlich so alles dabei?
Wenn ein Ultraläufer auf abgeschiedenen Wegen unterwegs ist, hat er sicher einen Trinkrucksack mit Wasser und Essen sowie Wechselkleidung dabei. Die ultimative Windjacke, die sich auf Tennisballgrösse zusammenfalten lässt, ist von Montane (Slipstream-Jacket). Diese Jacke gehört in die Tasche eines jeden Ultraläufers.
Was hilft dir in der schwierigsten Phase eines Rennens?
Siehe weiter oben: ansonsten ist es wirklich so, dass ich mir die Bilder, die ich mir schon viele Wochen vor einem Ultralauf vorstelle und an eine Visionstafel hänge, abrufe, wenn ich in ein mentales Tief komme. Dies können Fotos, Poster, Sprüche sein, die dann so lange abgespeichert werden, bis sie voll um Unterbewusstsein manifestiert sind.
Hast du auch mal ein Rennen abbrechen müssen?
Nein, noch nie. Ein Rennen müsste ich vielleicht erst abbrechen, wenn ich unvorbereitet wäre und einfach just for fun mitmachen würde. Dies ist das Fatalste, was man machen kann: einen Ultramarathon einfach mal so zu laufen. Selbst ein 50 km-Lauf, eben ‘nur’ 8 km länger als ein Marathon, ist nicht mit einem Strassenmarathon zu vergleichen. Es ist eine ganz andere Kategorie von Lauf, der man mit Respekt und auch Vernunft begegen sollte, so wie allen anderen Ultradistanzen auch.
Was sind Deine Tipps für Marathon-Läufer, die sich an einen Ultralauf heranwagen wollen? Kannst du ein „Einsteiger“-Rennen empfehlen?
Ein Einsteiger-Rennen als solches kann ich nicht empfehlen. Jeder kann aus freien Stücken entscheiden, bei welchem Ultralauf etwas ‘antickt’, eine Leidenschaft. Die langen Kombiläufe sind jedoch ein Must für jeden, der sich an die Strecken heranwagen möchte.
Danke, Anna, für die wirklich ausführlichen und interessanten Antworten. Vielleicht sehen wir dich ja im nächsten Jahr bei den 100 Meilen von Berlin…
PS: Wer sich nach diesem Interview einmal etwas näher mit dem Ultralauf beschäftigen möchte, dem sei – neben dem Wikipedia-Artikel „Ultramarathon“ – die Website von Anna Hughes www.ultra-running-insights.com wärmstens empfohlen. Dort findet man (auf Englisch) wirklich alles von Training über Ernährung bis hin zur Ausrüstung.