Am Samstag fand in der Sächsischen Schweiz der Nationalpark-Trail über 24 Kilometer von Bad Schandau nach Hinterhermsdorf statt. Für mich als Berliner Flachland-Läufer ein echtes Abenteuer, das ich aber trotz anfänglicher Zweifel am Ende sehr gut überstanden habe. Und die Landschaft hat ohnehin für alle Anstrengungen entschädigt…
Nachdem ich mit dem Shuttle-Bus nach Bad Schandau gefahren war, stellte ich erstaunt fest, wie wenig Teilnehmer hier auf den Startschuss warteten. Nur ein kleines Häufchen Läuferinnen und Läufer stand am Starttor direkt an der Elbe, um von hier aus den 24- oder den 30-km-Lauf zu beginnen.
Schon auf der Busfahrt hatte ich resignierend in mich hineingelacht: Um mich herum saßen lauter erfahrene „Bergziegen“ und Triathleten, die Geschichten von ihren Berg-, Marathon- und Ultraläufen erzählten. Ich war offensichtlich das einzige absolute Flachland-Greenhorn hier! Bloß gleich nicht den letzten Platz machen, dachte ich, als die 30-km-Läufer um 10 Uhr vor uns auf den Weg geschickt wurden.
Um 10:15 Uhr trottete ich dann mit einem kleinen Häufchen weiterer Läufer zum Start des 24-km-Nationalpark-Trails.
Gleich auf den ersten Metern nach dem Startschuss fiel mir siedend heiß ein, dass ich vergessen hatte, die Auto-Pause der Laufuhr auszuschalten. Mist! Während wir also durch die engen Gassen Bad Schandaus liefen, nestelte ich an der Uhr herum, um die Funktion zu deaktivieren. Irgendwie wollte es mir aber nicht gelingen, so dass ich in der Not zumindest das Tempo, ab dem die Uhr eine Pause einlegt, auf 18:00 min/km stellte.
Was war das? Es ging nach wenigen hundert Metern tatsächlich eine Treppe hinauf! So etwas liegt liegt mir ja gar nicht, aber was soll’s: Hoch da!
Alle Mitläuferinnen und Mitläufer verfielen nach den ersten im Laufschritt genommenen Stufen in eine Mischung aus Laufen und Gehen, denn die Treppe war ziemlich lang.
Die Hoffnung, dass es am Kopf der Treppe auf einer halbwegs ebenen Straße weiter gehen würde, wurde leider nicht erfüllt, es folgte nahtlos ein Weg mit kräftiger Steigung.
Nach dem steilsten Anfangsstück, das ich notgedrungen wie die meisten anderen gegangen war, versuchte ich mit Minischritten wieder ins Laufen zu kommen. Anders als bei anderen Läufen werden beim Nationalpark-Trail übrigens die Kilometer auf den Schildern nach Countdown-Manier zurückgezählt. Am Anfang ungewohnt, aber gegen Ende findet man es toll…
Endlich waren wir aus der Stadt heraus und konnten auf einer nur sehr sanft ansteigenden Straße richtig laufen. Ich lief neben einem Läufer in Schwarz, der ein sehr gutes Tempo hielt. Nach einer Weile sprach ich ihn an und wir unterhielten uns so gut, dass wir von da an fast den gesamten Lauf gemeinsam bestritten.
Auf dem folgenden Streckenabschnitt waren wir erst nicht sicher, ob wir richtig abgebogen waren, denn außer einer Frau ein paar Meter hinter uns war niemand weit und breit zu sehen. Hier musste man ziemlich auf die Füße achten, denn der Weg war voller hervorstehender Baumwurzeln.
Mein Mitläufer Richard kam aus Jena und war von daher Höhenmeter aus dem Training gewohnt. Genau die richtige Begleitung, um mich „Rookie“ über die 600 Höhenmeter dieses Laufs zu führen.
Er empfahl mir auch gleich den Jenaer Kernberglauf, der sehr schön – sogar viel besser als der Rennsteiglauf – sein soll. Na, erst mal sehen, wie die Geschichte heute ausgehen würde, aber Lust auf neue Läufe habe ich eigentlich immer.
Die Strecke führte durch eine wirklich wunderschöne Landschaft, immer wieder lagen dicke Felsbrocken am Wegesrand. Nach mehreren kräftigen Steigungen begann ich, die nur leichten Steigungen – die Art, die bisher im heimatlichen Berlin schon eine Herausforderung darstellte – zu „genießen“. Alles nur eine Frage der Relativität.
Irgendwann überholten uns dann die ersten 30-km-Läufer (die anfangs eine zusätzliche Schleife gelaufen waren), unter anderem zwei, die ich im Shuttle-Bus kennen gelernt hatte. Man merkte gleich, dass sie aus der Gegend kamen, denn sie schienen die Steigung einfach hinaufzufliegen ;-)
Bergab war es natürlich immer erholsam, und ich lief meist voraus, da ich es einfach rollen lassen wollte. Das ist bekanntlich nicht ungefährlich, denn die Aufprallkräfte, die dabei wirken, belasten die Muskulatur enorm. War mir aber egal, ich wollte die paar Meter bis es wieder mühsam bergauf ging genießen.
Und bergauf scheint es eigentlich fast immer zu gehen. Richard kannte sich offensichtlich mit Steigungen aus, denn er ging – bis auf eine kurze Ausnahme – nie.
Ich dagegen schaltete schon hin und wieder auf Gehen um, machte dann aber meist lange Schritte, so dass ich gegenüber den Minischritt-Läufern nicht allzu viele Meter verlor. Die Steigungen waren nicht ohne und ich merkte inzwischen, dass die Beinmuskulatur schon stark ermüdete. Ob ich das noch lange durchhielt? Das dicke Ende – eine 3-km-Steigung kurz vor dem Ziel – kam ja noch…
Ein Gasthaus mit Biergarten am Wegesrand! Wir phantasierten, dass es jetzt schön wäre einzukehren und den anderen beim Laufen zuzusehen. Aber nix da, es wird weiter gelaufen!
Immer weiter, hoch und wieder herunter, führte uns der Weg durch den Nationalpark Sächsische Schweiz. Nur vereinzelt sahen wir mal einen oder zwei Läufer vor uns.
Die Verpflegungsstände waren eine willkommene Abwechslung und wurden von netten Helferinnen und Helfern liebevoll betreut. Es gab mehrere Getränke (ich bevorzugte ab der Hälfte der Strecke Cola) und einige Sachen zu Knabbern – ich griff mir spontan drei kleine Salzbretzeln, die ich dann aber beim Weiterlaufen kaum runter bekam; meine extra mitgenommenen Gels wiederum vergaß ich zu nehmen.
Wir kamen mal wieder an einige Läufern heran, von denen ein etwas kleinerer mit rotem Shirt lachend fluchte: „Auf was habe ich mich hier eingelassen?“ Genau das dachte ich auch gerade! Wir lachten beide.
Und dann passierte auf dieser so einsamen Strecke etwas Unglaubliches: Mitten im Wald stand eine vielköpfige Radwandergruppe verteilt auf beiden Seiten des Weges und machte einen Riesenrabatz inklusive La Ola und Applaus für uns Läufer! Toll!
Nach vielen weiteren Aufs und Abs ging es eine enge Serpentinenkurve hinunter und ich fotografierte Richard, der schon unten in der Gegenrichtung weiter lief. Wie so viele Fotos leider unscharf, aber die Atmosphäre zählt ;-)
Waren wir bisher hauptsächlich in (sehr) hügeligem Wald gelaufen, so wurde es jetzt rechts und links des Weges richtig gebirgig und vereinzelte Felswände türmten sich auf.
Nachdem wir über eine Brücke gelaufen waren, liefen wir jetzt an der Kirnitzsch entlang. Ein sehr idyllischer Streckenabschnitt zwischen hoch aufragenden Felsen zur Linken und rauschendem Fluss zur Rechten.
Wir waren inzwischen zu dritt, denn wir beide hatten zu einem Läufer mit Stirnband und langen grauen Haaren aufgeschlossen.
So liefen wir eine ganze Weile schweigend durch die Landschaft, bis Richard mir am nächsten Verpflegungsstand eröffnete, dass er jetzt etwas zurückbleiben und gehen würde, da sein Bein zu sehr schmerze (er war bereits leicht angeschlagen ins Rennen gegangen).
So lief ich denn alleine weiter, kämpfte mich wieder Steigungen hinauf, freute mich, wenn es bergab oder zumindest halbwegs eben weiter ging, überholte den Stirnband-Läufer, blieb für Fotos stehen und wurde daraufhin wieder von ihm überholt.
Nun begann so langsam das kräftezehrende Finale, denn zwischen dem 20. und 23. Kilometer der Strecke galt es etwa 150 Höhenmeter zu überwinden! Zum einen wunderte ich mich, woher nach all den anstrengenden Anstiegen jetzt noch Kraft für solch einen Akt kommen sollte, zum anderen hatte ich erstaunlicherweise eine positive Stimmung bewahrt: Wenn ich es bis hierher geschafft hatte, dann bekäme ich den Rest auch noch hin!
Vereinzelt verfielen Läufer vor mir ins Gehen, und auch ich gönnte mir zwischendurch, wenn es gar zu sehr in die Muskeln ging, kurze Abschnitte mit langen Gehschritten. Und während solch einer Gehpause erschien plötzlich Richard wieder neben mir, der mit gewohnt kleiner „Übersetzung“ die Steigung hinauflief und fröhlich grüßte. Na, da musste ich natürlich auch wieder laufen ;-)
Gemeinsam mit einem Läufer im weißen Shirt kämpften wir uns durch die harten letzten Kilometer. Der Weiße bekam von seinem Smartphone ständig seine Laufwerte durchgesagt. Bei der Durchsage „Ihre Herzfrequenz beträgt 207!“ lachten wir alle drei auf, und er beteuerte gleich, das könne nicht stimmen ;-)
Woher plötzlich die Kraft und Motivation kam, wusste ich nicht, aber ich fühlte mich trotz Steigung so gut, dass ich mit dem Weißen plötzlich die Führung unserer kleinen Gruppe übernahm.
Ich war dicht an ihm dran, aber das Schild mit der Aufschrift „1000 m Ziel“ musste ich einfach dokumentieren, und so fiel ich durch die Fotopause wieder etwas zurück.
Ah, war das herrlich! Der letzte Kilometer führte stark abschüssig direkt nach Hinterhermsdorf hinein und ich sah auf der Laufuhr zwischenzeitlich Werte unter 4:00 min/km. Sollten die Beine doch morgen schmerzen, vollkommen egal, jetzt wollte ich ins Ziel fliegen!
Natürlich gab es selbst auf diesem Abschnitt noch einige kurze, knackige Steigungen, aber dann war es geschafft. Ich war im Ziel!
Selten habe ich mich so gut im Ziel gefühlt! Trotz aller Anstrengungen war ich keineswegs völlig am Ende, sondern nahm gut gelaunt meine Medaille entgegen.
Gleich darauf konnte ich auch schon Richard begrüßen, und wir beglückwünschten uns gegenseitig. Schade, dass das gemeinsame Finisher-Foto durch einen voreiligen Finger „anonymisiert“ wurde, aber an solch einem Tag kann eben nicht alles klappen ;-)
Beim Abholen der Urkunde staunte ich dann nicht schlecht, denn ich hatte mit 2:18:47 h zum ersten Mal in meinem Läufer-Leben eine Altersklassen-Platzierung erlaufen: 3. Platz AK M45 (von 7), 18. Platz gesamt von 51 Teilnehmern. Und das als Höhenmeter-Frischling, aus dem vollen Marathon-Training heraus und mit der Fotografierei nebenbei (ich habe im Laufe des Rennens mehr als 80 Fotos gemacht!). Für den 3. Platz bekam ich sogar noch eine Packung Nudeln. Jetzt kann ich mit der Lauferei sogar schon meine Familie ernähren ;-)
Abschließend hier noch der Streckenverlauf…
Die Pace-Grafik zeigt, wie sich die Lauf-Geschwindigkeit (zur Verdeutlichung nicht in 1-km- sondern in 250-Meter-Abschnitten) ständig dem Terrain anpassen musste – etwas, was ich bisher nicht gewohnt war.
Und das Höhenprofil ist wie immer sicherlich nicht 100%-ig exakt, aber man bekommt einen Eindruck von Ablauf und Anforderungen des Nationalpark-Trails.
Ein wirklich familiärer Lauf durch eine wunderschöne Landschaft, den ich auf jeden Fall empfehlen kann. Danke noch einmal an Richard, ohne den ich die Strecke bestimmt nicht so gut überstanden hätte ;-)
Respekt!!! Rauf und runter, Stolperwurzeln und Treppen, das kann man in Berlin nicht trainieren. Nicht so. Eine völlig neue Lauf-Dimension, stimmt’s?
danke für diesen tollen Bericht mit vielen imposanten Fotos und Glückwunsch zum AK-Podium
Vielen Dank für die tolle Reportage und die vielen eindrücklichen, dynamischen Bilder aus deinem Rennen durch die Sächsische Schweiz, die den Landschaften der Schweiz wirklich in vielem ähnelt. Gratulation auch zum 3. AK Rang – was wäre, wenn du keine Foto-Safari unternommen hättest ;-)?
Gruss Marianne
Großartig! Herzlichen Glückwunsch. AK Platz, super. Das ist ja ganz wunderbar, genau wie auch dein Bericht. Hat richtig Spaß gemacht, mit dir so zusammen über den Trail zu laufen.
Das Finisher Bild macht den Bericht um so perfekter. Ich musste total schmunzeln.
Es gab Nudeln als Geschenk?!? Feine Idee, genauso, wie deine 250m Übersicht. Ich hätte mich vermutlich über die Strecke gejammert. Toll, toll, toll.
Klasse Leistung!
@Hanna
Ja, in Berlin ist Laufen eher zweidimensional, man läuft in Länge und Breite; in solchen Gegenden wie der Sächsischen Schweiz kommt dann die unbekannte Dimension der Höhe hinzu!
@Gerald
Danke, sowohl das Laufen als auch das Berichten haben sehr viel Spaß gemacht. Und den AK-Platz kann ich immer noch nicht glauben ;-)
@Marianne
Ohne die Fotografiererei wäre ich sicherlich ein paar Minütchen schneller, aber das Entdecken und Berichten macht mir so viel Spaß, dass das gut investierte Zeit ist…
@Din
Das mit den Platzierungen bist du ja viel gewohnter als ich ;-)
Das Laufen auf solch einer profilierten Strecke ist völlig anders, als ein WK auf flachem Terrain. Da kann man den Blick auf die Durchgangszeit des letzten Kilometers getrost vergessen, was aber auch mal eine schöne Erfahrung ist.
Herzlichen Glückwunsch Andreas zu dieser großartigen Leistung und
dem beeindruckenden Bericht! Toller Lauf und Pasta als Prämie ist ja wirlich originell.
@Ingo („Der Blaue“)
Ingo, das war wirklich ein schöner Lauf, den ich nur empfehlen kann. Hat allerdings schon ein paar Höhenmeter mehr als unser gemeinsamer Lauf um den Ratzeburger See ;-)
Sehr schöner Bericht. Welche Kamera schleppst du denn bei so einem Lauf mit?
@Simon
Ein altes (damals recht gutes) Nokia-Handy. Die Auflösung ist fürs Web ausreichend, aber es dauert Ewigkeiten, bis es auslöst ;-)