Lauf-Blog für Läuferinnen und Läufer der F-Klasse

Tag der Befreiung – Ein Erinnerungslauf durch Berlin-Tempelhof 80 Jahre danach

Veröffentlicht am 12.05.2025 | 2 Kommentare

Glänzende Metall-Erinnerungstafel mit Inschrift „… Hier unterzeichnete am 2. Mai 1945 General Weidling als Befehlshaber des Verteidigungsbereichs Berlin den Befehl an die deutschen Truppen in Berlin sofort die Kampfhandlungen einzustellen. …“

Der 8. Mai war in Berlin anlässlich des 80-jährigen Jahrestags des Kriegsendes in diesem Jahr einmalig ein Feiertag. Ein Anlass, mich an diesem freien Tag zu einem kleinen Erinnerungslauf aufzumachen. Denn anders als inzwischen laut Umfrage die Mehrheit der Deutschen, möchte ich noch keinen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit setzen, ist es mir wichtig, dass es noch Stellen gibt, an denen an die schrecklichen Zeiten der Nazi-Herrschaft erinnert wird. Einige dieser Stellen wollte ich auf meinem Lauf besuchen…

Blühende Bäume am Volkspark Mariendorf

Man muss wissen, dass es zum Ende des 2. Weltkriegs nicht nur „eine“ Kapitulation der Deutschen Wehrmacht gab: Die wichtigste wurde am 7. Mai durch Generaloberst Alfred Jodl im Hauptquartier der westlichen alliierten Streitkräfte in Reims (Frankreich) unterzeichnet, dann aber in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai auf Wunsch der Sowjets noch einmal durch Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel am Sitz des Oberkommandierenden der Roten Armee in Deutschland in Berlin-Karlshorst ratifiziert. Zuvor hatte es Teilkapitulationen gegeben, unter anderem am 2. Mai durch General Helmuth Weidling in Berlin.

Was bedeutete das für meine Laufplanung? Reims war eindeutig zu weit, Berlin-Karlshorst theoretisch möglich, aber praktisch für mein angeschlagenes Knie nicht machbar – blieb also mein Berliner Bezirk Tempelhof, in dem man über zahlreiche historische Orte „stolpert“ und in dem auch das Haus Schulenburgring 2 liegt, in dem (s.o.) am 2. Mai 1945 die Kapitulation der Stadt Berlin unterzeichnet wurde. Nach ein wenig Recherche war die Strecke festgelegt und los ging es am frühen Feiertags-Morgen.

Um mein Knie nicht ganz so stark herauszufordern, fuhr ich das erste Stück mit dem Rad und startete in Alt-Mariendorf mit meinem Lauf. Einfach geradeaus auf dem Tempelhofer Damm…

Fassade Ullsteinhaus

Ich kam am Ullsteinhaus vorbei. Der Ullstein-Verlag war der größte deutsche Verlag, als ihn das NS-Regime der jüdischen Verlegerfamilie 1934 zu einem Spottpreis abpresste und daraus später den „Deutschen Verlag“ im „Deutschen Haus“ machte.

Blick auf den Tempelhofer Hafen

Direkt daneben lag idyllisch der Tempelhofer Hafen auf meiner Laufroute.

Mehrstöckige Wohnhäuser aus der Nachkriegszeit am Tempelhofer Damm

Immer weiter lief ich bei schönem Frühlingswetter den Tempelhofer Damm entlang, wobei ich auf Höhe des Tempelhofer Feldes die Straßenseite wechselte.

Eingang zu einem Mietshaus mit Plakette Aufbau-Programm Berlin 1951

Hier stehen noch Wohnhäuser aus dem Aufbau-Programm der Stadt Berlin. Denn nach dem Krieg war Berlin in weiten Teilen eine Trümmerlandschaft.

Aufschrift in einem Fenster „Frieden jetzt!“

Im Fenster eines Wohnhauses entdeckte ich diese Forderung, die mich daran erinnerte, dass gerade in diesem Moment viele Menschen ebenfalls verzweifelt in den Trümmern ihrer Städte stehen, ob in der Ukraine, in Syrien, in Gaza oder anderswo.

Berliner Gedenktafel Elisabeth Abegg

Ein weiteres Fundstück an einem Wohnhaus: Eine Gedenktafel für eine Frau, die zwischen 1942 und 1945 mit ihrer Schwester viele rassistisch Verfolgte vor den Nazis versteckt hatte.

Schmale Wohnstraße in Berlin-Tempelhof mit Begrünung

Vom breiten Tempelhofer Damm bog ich nun in kleine Nebenstraßen ab…

Straßenkreuzung mit Bäumen und einem Erdbeerstand

… auf denen ich dann schließlich an meinem ersten geplanten Erinnerungspunkt ankam…

Eingangsbereich zum Wohnhaus Schulenburgring 2 mit Blumen und Kränzen

… dem Haus Nr. 2 in der Straße Schulenburgring. Hier wurde also vor 80 Jahren – nach der Schlacht um Berlin – auf einem Wohnzimmertisch die Kapitulation der Stadt unterzeichnet. Ein kleiner Auszug aus Wikipedia zu den Tagen davor:

1939 waren 4,3 Millionen Menschen gezählt worden; nun waren es fast 40 Prozent weniger. Von den verbliebenen Einwohnern waren etwa zwei Drittel Personen weiblichen Geschlechts jeder Altersstufe. Das Drittel der männlichen Zivilbevölkerung machten vor allem Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 16 Jahren und ältere Männer über 60 Jahre aus. […] Berlin glich bereits zu Beginn der Landoffensive der Roten Armee auf Stadtteile im Zentrum einer Trümmerlandschaft. […] Während dieser Apriltage nutzten fanatische Nationalsozialisten und SS-Führer Standgerichte und Exekutionskommandos, um ein Weiterkämpfen bis zum Ende zu erzwingen. Propagandistisch eingepeitscht wurde die aussichtslose Verteidigung Berlins durch Goebbels, der […] das Kampfblatt für die Verteidiger Groß-Berlins […] herausgab. In diesen Mitteilungen wurde Treue zum „Führer“ gefordert und gleichzeitig Hoffnung auf einen Endsieg gemacht.“

Gedenk-Kranz der Hausgemeinschaft

Das Ende dieser schrecklichen Zeit und die Unterzeichnung der Kapitulation feiert die Hausgemeinschaft Schulenburgring 2 jedes Jahr mit Musik und Kulturprogramm, neben den offiziellen Kranzniederlegungen.

Golden glänzende Stolpersteine im Gehweg für Artur Grunwald, Rosa Grunwald und Carl Grunwald

Auf dem Gehweg entdeckte ich Stolpersteine, die an drei ermordete jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnerten.

Eingangstür Mussehlstraße 22

Nur wenige Meter weiter wurde ich enttäuscht. Laut Wikipedia sollte sich nämlich genau hier in der Mussehlstraße 22 eine Gedenktafel für die ehemalige Synagoge an diesem Ort befinden. Nichts zu sehen. (diesen Worten sollte ich später noch begegnen)

Erinnerungstafel an die Berliner Luftbrücke

Als ich weiter Richtung Flughafen Tempelhof lief, kam ich an dieser Tafel vorbei, die an die Berliner Luftbrücke erinnerte…

Erinnerungs-Metallplatte im Fußweg an die Opfer, die während der Luftbrücke ums Leben gekommen sind

… und gleich darauf entdeckte ich diese Metall-Einlassung im Fußweg. Himmel, in Tempelhof kann man keinen Schritt tun, ohne über die Geschichte zu stolpern!

Fassade des Flughafens Tempelhof mit Adler-Relief

Ich lief einmal am Gebäude des Flughafens Tempelhof entlang, einem der besten Beispiele für die monumentale Architektur und den Größenwahn des Nationalsozialismus (es war damals für kurze Zeit das flächengrößte Gebäude der Welt).

Großer Adlerkopf auf einem Waschbetonsockel

Den großen Adlerkopf am Eagle Square musste ich natürlich noch schnell fotografieren, bevor ich mich zum Empfangsgebäude aufmachte, …

Fassade Eingangsbereich Flughafen Tempelhof

… um dort nach Erinnerungstafeln zu suchen.

Gedenktafel für Lucius Clay, Vater der Luftbrücke

Und ich wurde fündig! Zuerst eine Gedenktafel für den amerikanischen General Lucius D. Clay, dem ehemaligen Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone und Vater der Luftbrücke…

Gedenktafel für die Opfer des SS-Gefängnisses Columbiahaus und des KZ Columbia

… und gleich in der Nähe ein Erinnerungstafel an die Opfer der Nazi-Diktatur an diesem Ort. Auf dem Gelände des Flughafen Tempelhofs befand sich nämlich von 1933 bis 1934 das SS-Gefängnis Columbiahaus und von 1934 bis 1936 das KZ Columbia. Darüber hinaus mussten hier Menschen aus ganz Europa zwischen 1940 und 1945 Zwangsarbeit leisten.

Berliner Gedenktafel Operation Little Vittles des US-Piloten Gail S. Halvorsen

Ebenfalls an den Wänden des Flughafen-Gebäudes fand ich diese Gedenktafel an die Aktion „Operation Little Vittles“ des US-Piloten Gail S. Halvorsen, der im Rahmen der Berliner Luftbrücke auf die Idee gekommen war, Süßigkeiten für die Berliner Kinder an selbstgebastelten Taschentuch-Fallschirmen abzuwerfen.

Säulengang am Flughafen Tempelhof

Ich lief weiter die Säulengänge entlang…

Durchgang mit Adler-Skulptur darüber

… kam um das Gebäude herum und lief dann den Columbiadamm hinauf.

Denkmal für die Opfer des Columbia-Hauses

Hier gab es noch das Mahnmal an das KZ Columbia zu sehen…

Inschrift am Denkmal für die Opfer des Columbia-Hauses

… mit einer eindrücklichen Inschrift.

Gebäude Flughafen Tempelhof

Auf dem Rückweg von dort betrachtete ich eine Schriftinstallation genauer, die mir schon auf dem Hinweg aufgefallen war.

„nicht mehr zu sehen“ – Ein Schriftzug für den Gedenkort Columbia-Haus

In den Rasen eingelassen waren riesige, mit Tonscherben gefüllte Buchstaben, die die Worte „nicht mehr zu sehen“ formten. Auch dies eine Erinnerung an das KZ Columbia.

Informationstafel mit historischen Fotos vom Kriegsende

Vorbei an weiteren Gedenktafeln zur Stationierung der US-Streitkräfte…

Empfangsgebäude an der Einfahrt mit schrift „United States Air Force Tempelhof Central Airport“

… und einem Pförtnergebäude, an dem man noch die frühere US-Beschriftung erahnen konnte…

Luftbrücken-Denkmal am Flughafen Tempelhof

… lief ich nun zum Luftbrücken-Denkmal, in Berlin gerne auch „Hungerharke“ genannt.

Blumenbeet und Inschrift „Sie gaben ihr Leben für die Freiheit Berlins im dienste der Luftbrücke“ am Luftbrücken-Denkmal

Am Fuß des Denkmals werden unter dem Satz „Sie gaben ihr Leben für die Freiheit Berlins im Dienste der Luftbrücke 1948/1949“ die im Rahmen der Flug- und Verladeunfälle Gestorbenen aufgelistet.

Drei orange Schaufensterfiguren mit Bandagen und Orthesen

Für mich ging es nun auf einer anderen Strecke wieder zurück nach Hause. Wobei mich diese Schaufenster-Dekoration spontan an mein angeschlagenes Knie erinnerte, das sich glücklicherweise bis zu diesem Zeitpunkt ganz ruhig verhalten hatte.

Aufkleber an einer Ampel „Stolpersteine putzen“

Noch ein zu diesem Erinnerungstag passendes Fundstück an einem Ampelmast.

Schild Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße

Und dann war ich an meinem letzten geplanten Erinnerungsort angekommen: dem ehemaligen SA-Gefängnis Papestraße.

Erläuterungsschilder Flugfeld

Irritierenderweise waren das erste, was ich sah, Erinnerungsschilder an die Luftschiffer-Abteilung, die hier von 1885 bis 1901 stationiert war. 1901 stiegen hier zwei Piloten im Ballon „Preussen“ mit offenem Korb und Sauerstoffflaschen bis auf 10.800 Meter hoch. Ein Rekord, der bis heute nicht übertroffen wurde.

Weg zum Gebäude Gedenkort Papestraße

Aber ich war doch auf der Suche nach dem Gedenkort für das SA-Gefängnis… den ich aber nach kurzer Erkundung des Geländes fand.

Schilder mit historischem Foto und Erläuterung

Zwei Metall-Tafeln erinnerten daran, dass die Papestraße zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur ein Ort des Schreckens war. Im Keller des Gebäudes Werner-Voß-Damm 54a befand sich im Jahr 1933 das SA-Gefängnis Papestraße, in dem über 500 Menschen gefangen gehalten, misshandelt und gefoltert wurden.

Gebäude des ehemaligen SA-Gefängnisses Papestraße

Etwa 30 von ihnen starben dabei. Viele der Inhaftierten waren KPD- und SPD-Mitglieder, Gewerkschafter und auch jüdische Ärzte und Rechtsanwälte, die bei Massenverhaftungen oder nach Denunziationen hierhin gebracht wurden.

Hauseingang mit Plakette „Aufbau-Programm 1952“

Das war zum Schluss noch einmal harter Stoff und Beleg dafür, warum wir diesen „Tag der Befreiung“ am 8. Mai feiern sollten. Aber jetzt ging es für mich wirklich nach Hause! Vorbei an weiteren Häusern aus dem Aufbau-Programm…

Brücke, im Hintergrund der Turm des Ullsteinhauses

… und dem Ullsteinhaus in der Ferne…

Eingangstür und Gedenktafel Jochen-Klepper-Haus

… machte ich aber doch noch einige Entdeckungen. So kam ich am Gemeindehaus der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf vorbei, wo eine Tafel an weitere Schicksale aus der Nazi-Zeit erinnerte.

Gedenktafel für Jochen Klepper, seine Frau und seine Tochter

Erst im Nachhinein erfuhr ich, dass die Kirche gelegentlich in der Berliner Presse als „Nazi-Kirche“ bezeichnet wurde, da sie – erbaut von 1933 bis 1935 – im Inneren kirchliche und Nazi-Symbolik vermischt hatte. Die Hakenkreuze wurden immerhin nach dem Krieg entfernt.

Erinnerungstafel Askania-Werke

Nach 15 Kilometern beendete ich meinen Lauf, stieg wieder für die Restkilometer auf mein Fahrrad und entdeckte prompt doch noch zwei Gedenkorte am Wegesrand (die ich zwar schon kannte, aber nicht auf dem „Schirm“ gehabt hatte): Zuerst eine Tafel mit sechs hingerichteten und einem auf der Flucht verstorbenen Widerstandskämpfern im früheren Askania-Werk Mariendorf, das in den Kriegsjahren Rüstungsproduktion betrieb…

Gedenkstein an den jüdischen Arzt Moritz Jacobsohn in Marienfelde

… und dann noch in Marienfelde einen Stein, dessen Inschrift an den von den Nazis vertriebenen jüdischen Arzt Dr. Moritz Jacobsohn und alle damals vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnert.

Karte mit der Strecke des Erinnerungslaufs

Als ich zuhause ankam, war ich nicht nur froh, dass mein Knie die ungewohnt lange Strecke gut überstanden hatte (schließlich war es über sieben Monate her, dass ich so lange gelaufen war!), ich war auch beeindruckt davon, dass es noch so viele Erinnerungen an den „Tag der Befreiung“, die schreckliche Zeit davor und die entbehrungsreiche Zeit danach gibt. Hoffen wir, dass das so bleibt, und wir nie vergessen, wie es war und wie es dazu kam.

Quellen:
Bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht (Wikipedia)
Ullsteinhaus (Wikipedia)
Berlin nach 1945 (berlin.de)
Schlacht um Berlin (Wikipedia)
„Berlin hatte eine besondere Bedeutung“ (tagesschau.de)
Stolpersteine (Wikipedia)
Berliner Luftbrücke (Wikipedia)
Flughafen Tempelhof (Wikipedia)
Eagle Square (Wikipedia)
KZ Columbia (Wikipedia)
Rosinenbomber (Operation Little Vittles) (Wikipedia)
Luftbrücken-Denkmal (Wikipedia)
Ballon „Preussen“ (Wikpedia)
Martin-Luther-Gedächtniskirche (Wikipedia)
Askania-Werke (Wikipedia)

 

2 Kommentare zu “Tag der Befreiung – Ein Erinnerungslauf durch Berlin-Tempelhof 80 Jahre danach”

  1. Martin sagt:

    Danke für die wichtige Tour und den interessanten Beitrag. Da könnte man sicher noch unzählige Kilometer innerhalb der Stadt dran hängen. Vielleicht mache ich mich mal auf die Reise und wir laufen zusammen so etwas in der Art nochmal nach.

  2. Andreas sagt:

    Hallo Martin, sehr gerne, das würde mich freuen!

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